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Kesrith – die sterbende Sonne

Kesrith – die sterbende Sonne

Titel: Kesrith – die sterbende Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.J. Cherryh
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staubbedeckt war und seine Hände vor Schmutz starrten. Um ihn herum tappten Füße. Sirain kam, der halbblinde Sirain, und reichte ihm ein feuchtes Tuch, und Niun entschleierte sich und wusch sich Gesicht und Hände und verschleierte sich wieder, dankbar für Sirains Aufmerksamkeit. Liran brachte ihm ein Gewand, und mitten im Schrein wechselte er sein Siga , denn es wäre respektlos gewesen, die Wache unordentlich zu verbringen. Er setzte sich wieder und beruhigte sich langsam durch das ruhige, wirksame Zelebrieren der anderen.
    Als dann das geflüsterte Wort von Eddan kam, begannen sie, das häßliche weiße Leinentuch von Medai zu ziehen, und geduldig, geduldig zogen der eine und der andere von ihnen an dem Gewebe, das so enggesponnen war wie ein Kokon und beinahe undurchdringlich – wie Cho -Seide war es und mußte mit den Fingern entwirrt werden. Aber Pasev wußte, wie man den Regul-Stoff mit einem brennenden Docht berührte und so das merkwürdige Gewebe auftrennte. Das Material war nur schwer brennbar, aber es zerteilte sich, und sein chemischer Geruch bildete mit dem darüberschwebenden Weihrauch eine Übelkeit erregende Mischung.
    Sie alle stimmten schweigend darin überein, daß sie ihn nicht in einem Regul-Leichentuch begraben würden, in welcher Verlegenheit sie sich auch befänden. Und allmählich befreiten sie Medai von dem Stoff – ein Gesicht, an das sie sich alle erinnerten, die Gesichtszüge ruhig und bleich. Im Tode war der Körper mitleiderregend klein und dünn, wog kaum etwas, obwohl Medai ein kräftiger Mann gewesen war. An seinen Gürteln entdeckten sie zahlreiche Ehrenabzeichen; in seinem Gesicht waren die Seta'al zu mattem Blau verblaßt. Medai s'Intel war ein stattlicher junger Mann gewesen, an helleren Tagen vom Leben und der Hoffnung des Edun erfüllt. Selbst jetzt noch war er schön anzuschauen. Die einzige Beeinträchtigung seines Aussehens war der blutbefleckte Stoff unterhalb seiner mittleren Rippen, wo er sich selbst die tödliche Wunde zugefügt hatte.
    Selbstmord.
    Niun arbeitete, ohne in Medais Gesicht zu blicken, versuchte, nicht an das zu denken, was seine Hände taten, damit sie nicht zitterten und ihn im Stich ließen. Vergeblich versuchte er, sich an bessere Tage zu erinnern. Er kannte Medai nur zu gut. Im Sterben war sein Vetter genauso, wie er im Leben gewesen war: selbstsüchtig, arrogant – um der Arroganz der Regul standzuhalten – und in allem stur. Es war pietätlos und falsch, einen Groll gegen Tote zu hegen. Aber Medai war in seinem Ende ebenso nutzlos für sein Volk gewesen wie schon immer zuvor. Medai hatte für sich selbst gelebt und war aus seinen eigenen Gründen gestorben, ohne zu erwägen, was andere von ihm benötigen mochten. Und für einen kalten Leichnam gab es herzlich wenig Ehre, auch nicht in den hohen Traditionen des Kel.
    Sie waren im Zorn auseinandergegangen. Sechs Jahre lang hatte Niun sich jeden Tag daran erinnert, und er wußte jetzt, warum die She'pan wollte, daß er zu ihr hinaufging, und welche Gedanken seine Kel'ein-Brüder hegten, die bei ihm saßen. Es war zum Streit gekommen, zum Av'ein-kel , und die langen Klingen waren gezogen worden. Es war Niuns Schuld gewesen, weil er zuerst gezogen hatte, draußen in der Halle des Schreins. Es war an dem Tag gewesen, an dem Medai Hand an Melein gelegt hatte.
    Und Melein hatte keinen Einwand erhoben.
    Die She'pan selbst hatte diesen Streit beendet. An jenen Tagen vor sechs Jahren war sie noch reger gewesen, war die Treppen des Turmes herabgekommen und eingeschritten. Sie hatte Niun als Eshai'i bezeichnet, als jemanden, dem die Ehre ermangelte, und als Tsi'daith' , als Nichtsohn, und weil er sie damals geliebt hatte, war er daran zerbrochen.
    Für Medai jedoch hatte es kein Wort, kein einziges Wort der Zurechtweisung gegeben.
    Und innerhalb einer Handvoll von Tagen erreichte Medai die Ehre, dem Bai der Regul zu dienen, eine Ehre, die auch einem der Ehemänner hätte zuteil werden können; und zu Melein kam die Keuschheit des Sen.
    Nur für Niun s'Intel gab es nichts außer der Rückkehr zum Lernen und ein langes, langes Warten, an der Seite der Mutter festgehalten und ohne jede Hoffnung, Kesrith verlassen zu können.
    Es hatte niemals eine Möglichkeit gegeben, diesen einen üblen Tag ungeschehen zu machen. Intel war nicht bereit, ihn ziehen zu lassen. Er hatte auf Frieden mit Medai gehofft, auf eine Veränderung in den Angelegenheiten des Volkes.
    Aber Medai hatte ihn auch dessen beraubt. Für ihn

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