Ketten der Liebe
rief er.
Sie drehte sich zu ihm um. »Was ist?«
»Sie haben die Liste vergessen.«
Natürlich. Er hatte sie ab gelenkt.
Rasch trat sie wieder an den Tisch und nahm das Blatt Papier an sich.
»Da ist noch etwas, das ich nicht auf die Liste gesetzt habe«, meinte er.
»Nicht so wichtig. Wenn ich es bis in Ihr Schlafzimmer schaffe, die Sachen hole und mich wieder unbemerkt davonschleichen kann, weiß ich das Glück auf meiner Seite.«
»Aber es ist sehr wichtig.« Mit seiner tiefen Stimme eroberte er ihre Aufmerksamkeit aufs Neue. »Wenn eine Frau sich zum ersten Mal einem Mann und der Liebe hingibt, ist es ratsam, ein Öl zu benutzen, damit es leichter geht.«
Amy erstarrte und sah ihn sprachlos an.
»Außerdem ist es besser, wenn sie sich vor einer ungewollten Schwangerschaft schützt.«
»Gott, ja!« Wieso hatte sie sich von den Verlockungen vereinnahmen lassen, ohne an die Folgen zu denken?
»In der obersten Schublade der Kommode neben meinem Bett befindet sich ein kleines Kästchen. Darin ist alles enthalten, was wir brauchen, um unsere gemeinsame Nacht so angenehm wie möglich zu machen. Wenn es sein muss, dann lassen Sie einfach alles andere liegen und bringen das Kästchen mit.«
Sie gab ein Schnauben von sich, das verächtlich klingen sollte - doch es war ein halbherziges Schnauben. Sie hielt wieder auf die Treppe zu.
»Amy.«
Sie drehte sich erneut zu ihm um. »Was noch?«
»Ist Ihnen aufgefallen, dass ich gar kein Nachthemd auf die Liste gesetzt habe?«
Sie warf einen Blick auf die Liste in ihrer Hand und fragte sich, warum er ihr ausgerechnet das mitteilte.
Doch dann ahnte sie den Grund.
Er hatte ihr soeben angedeutet, dass er vollkommen unbekleidet schlief.
Jede Nacht lag er nackt im Keller unter ihrer Schlafkammer und wartete nur darauf, sie in seinen Armen willkommen zu heißen. Jetzt, da sie davon wusste, könnte sie den lebhaften Bildern nie wieder entkommen ... und der Versuchung.
15. Kapitel
I ch kann unmöglich dieses Jackett anziehen. Das sieht doch ganz anders aus als das, das ich getragen habe.«
»Und das Ihr ruiniert habt, Mylord.« Biggers und Jermyn standen in dem geräumigen, begehbaren Schrank im Schlafzimmer des Marquess und überlegten, welche Kleidung Jermyn bei der Rückkehr in sein Gefängnis anziehen sollte. Der Hausherr bestand darauf, dass die Kleidung sich nicht groß von der anderen unterscheiden durfte.
Biggers, ein für gewöhnlich vernünftiger Mann, sprach sich dafür aus, wie wichtig es sei, sich abwechslungsreich zu präsentieren.
»Die Damen sind nicht töricht. Beiden wird auffallen, dass ich mich umgezogen habe.« Jermyn suchte ein Jackett aus, das dem alten in Farbe und Schnitt glich. »Ich werde mit diesem zurückkehren.«
»Allzu klug können sie aber auch wieder nicht sein. Ihr seid vor zwei Tagen entkommen, und sie haben es noch nicht bemerkt«, meinte Biggers.
»Nun, ich habe die Herausforderung angenommen und gedenke, die Damen noch ein bisschen an der Nase herumzuführen.« Jermyn kehrte mit den Gedanken kurz zu Amy zurück, ehe er fortfuhr: »Wie dem auch sei, ich bitte Sie, zu berücksichtigen, dass eine neunzehnjährige Frau und eine alte Dame es geschafft haben, den Marquess von Northcliff zu entführen. Es steht Ihnen frei, die Damen als einfältig hinzustellen, aber ich denke, dass die Leute, die mich überrumpeln konnten, mehr sind als dumme Zeitgenossen.«
»Verstehe, Mylord. Gewiss habt Ihr recht, Mylord. Ausgesprochen intelligente Frauen, Mylord.« Biggers ließ sich nie anmerken, ob er sich insgeheim amüsierte. Er verkörperte den perfekten Kammerdiener: aufrichtig, peinlich korrekt, immer den jeweiligen Stilrichtungen voraus - und er war in der Lage, Jermyn ohne die kleinste Risswunde zu rasieren und dessen Halstücher formvollendet zu binden. Er war groß, hager und seit Jahren dreiundvierzig Jahre alt. Seit nunmehr zwölf Jahren war er Jermyn zu Diensten und hatte nie ein Wort über seine Vergangenheit verloren. Doch er war redegewandt und sehr scharfsinnig, was die Vermutung zuließ, dass seine Vergangenheit sehr viel gefährlicher gewesen war als die Gegenwart.
»Ich habe Euren Anwalt schriftlich gebeten, die Geschäftsbücher der Edmondsons mitzubringen.«
»Und Sie haben ihm natürlich gesagt...«
»Dass Euer Onkel diese Bitte an ihn heranträgt, selbstverständlich. Er weiß nicht, wer die Briefe für Mr. Edmondson schreibt, und glaubt mir, Mylord, er hat zu viel Angst vor Eurem Onkel, um irgendeine Bitte infrage
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