Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe
Leuten eine schlagkräftige Truppe organisiert zu haben, leben zum Zeitpunkt von Frischs Ankunft bereits viele hundert Menschen auf der Mesa. Frisch wird keiner festen Gruppe zugeteilt. Er selbst bezeichnet sich als «Wanderklempner», der ständig von einem Labor und Büro ins nächste eilt und sich die Arbeit erklären lässt. Dann macht er Verbesserungsvorschläge, kümmert sich um die optimale Anwendung der Instrumente oder empfiehlt sinnvolle Experimente.
Etwas Besonderes sollte es schon sein. Deshalb hat Mici Teller sich auch das Schnäppchen bei einem Hotelverkauf in Chicago nicht entgehen lassen und aus der Konkursmasse einen Konzertflügel für ihren Edward gekauft. Wie das Instrument es unbeschädigt auf die Mesa geschafft hat, bleibt den Besuchern der Tellers ein Rätsel. Der Steinway nimmt fast das ganze Wohnzimmer in Anspruch. Der Heisenberg-Schüler und erklärte Mozartfan Edward Teller spielt immer dann, wenn ihm danach ist, also auch schon mal mitten in der Nacht, was gelegentlich zu Konflikten mit den Nachbarn führt. Das zweite Klavier in Los Alamos steht in der Wohnung der Familie Jorgensen, wo sich John Manleys Gruppe regelmäßig zum Essen und Musizieren trifft. Wenn Otto Frisch vorbeischaut, begleitet er die Arbeit der Köche mit Beethovensonaten. Hin und wieder lässt er sich von einem Violinisten und einem Cellisten begleiten. Für die unfreiwilligen Paukenschläge sorgen – leider selten taktgenau – Seth Neddermeyers Implosionsversuche auf der Anchor Ranch.
Inzwischen wickelt der belächelte Pyrotechniker Sprengstoffstäbe in symmetrischen Abständen um hohle Eisenrohre. Er experimentiert mit unterschiedlichen Zündungspunkten, um deren optimale Anordnung zu finden. Denn die Detonationswellen sollen möglichst gleichmäßig auf das Rohr zurollen und es dann berechenbar zerquetschen. Aber was sich nach der Zündung aus Staub und Sand herausharken lässt, ist meistens arg verformt. Neddermeyers entnervter Vorgesetzter, Captain William Parsons, verspottet im wöchentlichen Kolloquium die Versuche: «Worauf zu achten sein wird, ist, ob er eine Bierdose eindrücken kann, ohne dabei das Bier zu verspritzen» [Rho:487].
Edward Teller hat in der Anfangsphase, als die ersten Fertighäuser in den Frühjahrsschlamm gesetzt wurden, entscheidend an den Arbeitsrichtlinien für die Theoretische Abteilung mitgewirkt. Jetzt ist er beleidigt, dass sein Freund Hans Bethe und nicht er selbst Gruppenleiter geworden ist. Der Gekränkte weigert sich, dem Wunsch Bethes nachzukommen und einen Teil der aufwändigen Berechnungen zur Implosionstechnik zu übernehmen. Frisch wird kaum wissen, dass die Verstimmung Tellers einer der Gründe ist, warum er und seine britischen Kollegen als Verstärkung angefordert worden sind [Rho:522]. Dem Manhattan-Projekt fehlt es an Rechenkraft. Das ändert sich schlagartig, als der ungarische Mathematiker John von Neumann im Herbst 1943 die Bühne von Los Alamos betritt.
Mitgerissen von «Johnnys» dynamischem Auftreten, kommt selbst Edward Teller aus seinem Schmollwinkel hervor, erneuert die Jugendbekanntschaft mit seinem Landsmann und zeigt einen beachtlichen Eifer beim Rechnen. Währendessen fragt sich Hans Bethe, ob die geistigen Kräfte des weltweit gefragtesten Feuerwehrmanns für mathematische Brandherde nicht ein Anzeichen für das Auftauchen einer neuen Spezies sein könnte, die dem Menschen überlegen sei.
Bei Neddermeyers Mehrfachzündungen verursachen die Wechselwirkungen der verschiedenen auseinanderstrebenden Schockwellen Unregelmäßigkeiten und lassen keine wirkungsvolle «Explosion nach innen» zu. Diese Sprengversuche mit zylindrischen Objekten sind ohnehin nur Aufwärmübungen. Die angestrebte Geometrie ist eine Hohlkugel aus Plutonium. Sie soll bei der Implosion zu einer dichteren Kugel zusammengepresst werden. In ihren gemeinschaftlichen Berechnungen ergänzen sich von Neumann und Teller vorzüglich. Sie finden heraus, dass eine perfekte Implosion das Plutonium unvorstellbar dicht komprimieren würde. Ähnlich dichte Materie sei sonst nur noch im Inneren von Sternen denkbar. Dabei erreiche der zuvor unterkritische Bombenkern in rasender Geschwindigkeit die kritische Masse. [Bad:62]
Man müsse die Implosion nicht allein als eine militärische Herausforderung begreifen, sondern sie zu einem mathematischen Präzisionsinstrument schmieden. Dann erst seien die Voraussetzungen für eine funktionierende Plutoniumbombe erfüllt. Diese Auffassung des
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