Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe
Spontanspaltungsquote so hoch ist, dass sie im Geschützmodell der Bombe die Gefahr einer vorzeitigen Detonation erheblich vergrößert. Segrès Untersuchung des Plutoniums aus Oak Ridge ist niederschmetternd. Die Verunreinigung mit Pu-240 sei so groß, dass wegen der vielen spontan frei werdenden Neutronen eine vorzeitige Kettenreaktion ausgelöst werde. Geschoss und Zielmasse werden geschmolzen sein, noch bevor sie zusammentreffen, um eine kritische Masse zu bilden [Gos:40].
Nun sei der künftige Hanford-Reaktor aber so ausgelegt, dass der Anteil der 240er Sorte an der Plutoniumausbeute noch höher ausfallen werde als in den vorliegenden Proben aus dem kleinen Reaktor von Oak Ridge. In der hochkomplexen Trennungsanlage am gleichen Standort wird Uran-235 von Uran-238 abgeschieden – ein ungeheurer Aufwand, um die Differenz von drei Masseneinheiten zwischen zwei ansonsten chemisch identischen Atomen aufzuspüren. Der Unterschied zwischen Pu-239 und Pu-240 macht jedoch nur eine einzige Masseneinheit aus. Was die Eliminierung der unerwünschten Atomsorte zu einem fast aussichtslosen Unternehmen macht. Für eine solche Aufgabe müsste der Atompark am Fuß der Eichenwälder von Tennessee noch einmal erweitert werden. Ein Krisenstab, dem Groves, Oppenheimer, Compton und Fermi angehören, kommt zu dem Schluss, eine solche Aufrüstung sei mit dem gegenwärtigen Know-how unrealistisch.
Und so trifft Oppenheimer am 17. Juli 1944 die Entscheidung, den «Dünnen Mann», das Geschützmodell der Plutoniumbombe, aufzugeben. Jetzt rückt George Kistiakowskys Arbeitsgruppe in den Mittelpunkt des Geschehens. Sie muss dem «Fat Man», dem Implosionsmodell der Plutoniumbombe, zum Erfolg verhelfen, sonst ist Fermis ganze Arbeit und der gigantische Aufwand, den augenblicklich 42 000 Arbeiter in Hanford leisten, um seine Vorgaben umzusetzen, vergeblich gewesen. Angesichts der praktischen Probleme, die die Implosionstechnik noch aufwirft, stürzt der selbstbewusste Oppenheimer in eine Krise und denkt sogar daran, um seine Entlassung zu bitten. Ohne die Überzeugung, sich in einem Wettlauf mit den Deutschen zu befinden, hätte an diesem Tiefpunkt des Manhattan-Projekts selbst ein unbeirrbarer Manager wie General Leslie Groves wahrscheinlich das Aus für die Plutoniumbombe verkündet [Ber 2 :117].
Dabei ist die Lage in Deutschland verheerend. Die Kriegsereignisse haben den Uranverein buchstäblich versprengt. So ist etwa bei einem Luftangriff im Februar 1944 Otto Hahns Institut bis auf die Grundmauern abgebrannt. Der Entdecker der Kernspaltung zieht in die württembergische Kleinstadt Tailfingen um – ein Katzensprung von Heisenbergs Hechingen entfernt – und muss mit den heil gebliebenen Apparaten in einer leerstehenden Trikotagenfabrik improvisieren. In den letzten fünf Jahren sind die an Hahns Institut vorgenommenen Untersuchungen von Spaltprodukten, von Verunreinigungen des Präparats 38 und des Verhaltens schneller Neutronen wichtige Beiträge zur Theorie der deutschen Uranmaschine gewesen. Aber auch für den Bau einer Atombombe ist diese Grundlagenforschung unentbehrlich [Sim 3 :287].
Leiter des deutschen Atomprojekts ist mittlerweile Walther Gerlach, Professor für Experimentalphysik in München. Paul Harteck, Erich Bagge und eine Hand voll Einzelkämpfer in Berlin, Kiel, Heidelberg und Wien arbeiten mit bescheidenen Ergebnissen an der Gewinnung von schwach angereichertem Uran-235. Mit diesem Reaktorbrennstoff ließe sich der Einsatz des knappen schweren Wassers reduzieren. Im März 1944, als Ted Magel und Nick Dallas wie selbstverständlich ihren ersten Plutoniumknopf präsentieren, bemüht sich Gerlach, die Arbeit des Uranvereins auf einer Konferenz neu zu koordinieren. Denn noch immer verstehen sich die deutschen Beamten als Kontrahenten und feilschen um jeden Uranwürfel und jeden Liter des kostbaren schweren Wassers.
Heisenberg zeigt wenig Interesse an der Urananreicherung. Er hat zwar inzwischen Diebners Reaktorgeometrie mit Würfeln übernommen, beansprucht aber, wie gewohnt, den Löwenanteil der verfügbaren Materialien. Auch wenn Heisenberg nicht seine ganze Kraft und Aufmerksamkeit dem Uranverein widmet – immerhin hält er selbst in dieser Endzeit des totalen Kriegs regelmäßig Vorträge im Ausland, arbeitet an seiner Elementarteilchentheorie und schreibt sogar eine längere philosophische Abhandlung –, will er doch nicht von einem Kurt Diebner abgehängt werden. Sobald die Voraussetzungen für
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