Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe
einen Großversuch in Hechingen erfüllt sein werden, will er Uranwürfel und schweres Wasser aus Berlin herbeischaffen lassen und endlich eine Kettenreaktion erzeugen.
Ginge es allein nach General Leslie Groves, steckte er die Wissenschaftler in Uniformen und internierte sie in klotzigen Kasernen, um sich das Chaos zu ersparen, das deren Frauen und Kinder seiner Ansicht nach zwangsläufig stiften. Aber Robert Oppenheimer will, dass seine Kollegen sich wohlfühlen. Er hat die neuen Familienhäuser entlang der alten, gewundenen Wege von Los Alamos errichten lassen und sich das Planquadratdenken der Militärarchitekten verbeten. Mici Teller organisiert sogar einen kleinen Volksaufstand, als eines Tages ein Soldat anrückt und auf ihr Grundstück will. Er habe den Befehl, die Bäume zu roden und alles einzuebnen, um neue Pflanzen setzen zu können. Mici ist mit der wilden Natur hinter ihrem Haus sehr zufrieden. Sie lässt nicht zu, dass die Bäume gerodet werden, und schickt den Soldaten fort. Am nächsten Tag kommt er mit dem gleichen Befehl zurück. Doch da sitzen bereits die Ladys aus der Nachbarschaft mit Kindern und Strickzeug unter den Bäumen, trinken Tee und scheinen sich auf einen längeren Besuch eingerichtet zu haben. Der Soldat kommt nie wieder.
Familie Fermi trifft im August 1944 auf der Mesa ein. Laura ist irritiert von ihren widersprüchlichen Empfindungen. Die schöne Umgebung erinnert sie an ihre Heimat Südtirol und lässt sie an einen Luftkurort denken, während die Stacheldrahtumzäunung Assoziationen an ein deutsches Konzentrationslager in ihr weckt [Fer:216]. Da den Ehefrauen der Wissenschaftler Teilzeitjobs angeboten werden, lässt sie sich als Bürogehilfin einstellen. Sie trägt ein blaues Abzeichen, das ihr den Zutritt zu bestimmten Abteilungen des Technischen Bereichs verwehrt. Auch den Bereich F darf sie nicht betreten, in dem ihr Mann mit einer Gruppe Wanderklempner die Probleme anderer Abteilungen löst. Hier dürfen nur die vom Geheimdienst durchleuchteten und als «unbedenklich» eingestuften Personen mit dem weißen Abzeichen herein. Alle Gegenstände in der Wohnung der Fermis tragen «militärische Zeichen, von der elektrischen Glühbirne an der Decke bis zum Handfeger in der Ecke» [Fer:223]. In die Militärfeldbetten sind die Namen der Soldaten eingeritzt, die einmal darin geschlafen haben. Die Küchen sind standardmäßig mit zwei Spülbecken ausgestattet. Eines ist so tief, dass junge Mütter ihre Babys darin baden [Bad:145].
Jeder Neuankömmling erhält ein Dokument mit den Regeln der Briefzensur. «Physiker» steht ganz oben auf der Liste der unerwünschten Wörter. Auch Eigennamen, Ortsnamen und geographische Angaben sind verboten. Bernice Brode, nach eigenen Angaben in Los Alamos «as computer» – als Rechnerin – angestellte Ehefrau des Physikers Richard Brode, muss sogar darauf verzichten, ihre Briefe mit grinsenden Kürbisgesichtern zu schmücken, weil das dem Zensor missfällt [Bad:140]. Auch Prominente sind von der Briefzensur nicht ausgenommen. Robert Oppenheimer und Enrico Fermi haben obendrein noch persönliche Leibwächter. Privatsphäre ist in Los Alamos eher ein Privileg der Namenlosen. Kitty Oppenheimer ertränkt ihren Groll gegen die permanente Überwachung zunehmend in Whiskey und Gin, und jeder auf der Mesa weiß Bescheid.
Das Militär liebt Sprengstoffe, weil sie sich verlässlich gegen jede Anhäufung und Kombination von Materie lautstark und sehenswert durchzusetzen verstehen. Aber erst George Kistiakowsky ist auf die Idee gekommen, ihre Eigenschaften genauer zu erforschen, um sie als Präzisionsinstrument einzusetzen. Mit dem Modell der Sprengstofflinsen will er jetzt die Implosion unter Kontrolle bekommen. Eine solche Linse ist zusammengesetzt aus einem schnell brennenden Sprengstoffmantel und einer langsamer brennenden «Sprengstoffseele» – ein Pyramidenstumpf so groß wie eine Autobatterie [Rho:584 f.]. Die knapp hundert einzelnen Gussteile für die benötigten Linsen in einer Plutoniumbombe müssen allerdings mit einer hohen Passgenauigkeit zusammengefügt werden, was enorme Ansprüche an die Präzision der Gussformen stellt. Sobald die Detonationswellen vom Mantel die Seele erreichen, verzögert sich der Prozess, sodass die letzte Welle die erste einholen kann, bis nur noch eine einzige kugelförmige Welle auf das Zentrum der Bombe zurast. Eine reflektierende Schicht aus Uran gleicht die letzten Unregelmäßigkeiten der Welle aus,
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