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Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Titel: Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Mania
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bevor sie schließlich den Plutoniumkern erreicht. So lautet die Theorie. Und da John von Neumann sie mathematisch absichern half, wird man ihr eine Chance geben.
    Jetzt, da das Schicksal von Fat Man in Kistiakowskys Händen liegt, kommen die Bewohner der Mesa nicht mehr zur Ruhe, denn seine Mitarbeiter jagen täglich rund eine Tonne Hochleistungssprengstoff in die Luft, um der Wirklichkeit Antworten abzuringen. Das von Lord Cherwell an höchster Stelle denunzierte Baratol schneidet bei den Versuchen als langsame Komponente am besten ab. Sorgen bereiten ihm allerdings die Gussformen für die Sprengstofflinsen. Sie sind nicht präzise genug und müssen maschinell nachbearbeitet werden [Rho:586].

Kapitel 11
    KRITISCHE MASSE
    Das zehn Grad Celsius kühle Wasser des Columbia River rauscht unter Hochdruck durch den Kern des Atommeilers. Dabei umspült es 1500 mit Uranbrennstäben gefüllte Aluminiumrohre. Nur wenige hundert Meter entfernt stehen die Wohnbarracken für 42   000 Arbeiter in der «räudigen» Landschaft von Hanford, Washington. Auch hier gibt es einen eingezäunten, mit Stacheldraht bewehrten Bereich. Es sind die Unterkünfte der Frauen, die vor den Zudringlichkeiten der männlichen Arbeiter geschützt werden müssen. Am 26. September 1944 ist der erste von drei gewaltigen Reaktorblöcken bereit, die Plutoniumproduktion anzufahren. Gegen Mitternacht steht Enrico Fermi, den Blick auf seinen Rechenschieber gerichtet, im Kontrollraum und gibt dem Bedienungspersonal Handzeichen. Ein Messgerät zeigt an, dass der künstliche Seitenarm des Columbia River als nunmehr 60 Grad warme und mit Spaltprodukten angereicherte Brühe das Gebäude wieder verlässt und zurück ins Flussbett strömt. Eine Stunde lang bleibt die Kettenreaktion erhalten, dann fällt die Leistung plötzlich ab, bis sich der Reaktor am Abend des nächsten Tages ganz abschaltet.
    Glücklicherweise hält sich auch John Archibald Wheeler in Hanford auf. Er lauscht dem «schweren Atem» des Reaktors und stellt die Diagnose, der Patient leide an einer Xenon-135-Vergiftung [Rho:568]. Dieses bisher übersehene Spaltprodukt absorbiere mit Vorliebe Neutronen und müsse der Kettenreaktion die Nahrung geraubt haben. Die aussichtsreichste Therapie gegen die missliche Lage sei eine zusätzliche Menge Uran. Sie allein könne dem Vergiftungseffekt entgegenwirken und das Gleichgewicht wiederherstellen. So werden die 500 vorsorglich als Sicherheitsmarge in den Reaktor eingebauten Aluminiumrohre ebenfalls mit Uranbrennstäben gefüllt. Und ein paar Tage vor der Jahreswende erbrüten bereits zwei Reaktorblöcke am Westufer des Columbia River Plutonium für den Dicken Mann. In sechzehn Kilometern Entfernung sind drei imposante Gebäude aus dem unfruchtbaren Boden gestampft worden, die jeweils 266 Meter lang, 22 Meter breit und 26 Meter hoch sind. Hier soll das Plutonium aus den bestrahlten Brennstäben herausgelöst werden. Die Arbeiter haben sie «Queen Marys» genannt, weil sie fast so lang sind wie das größte Schiff der Welt [Gos:34].
     
    Der 42-jährige Moe Berg aus New York ist Sprachwissenschaftler mit Princeton-Diplom. Seine eigentliche Karriere aber hat er als Baseballfänger bei den Boston Red Sox gemacht. Nun steht er vor einer völlig ungewohnten Aufgabe. General Groves macht ihm das Berufsbild des Atomspions schmackhaft. Berg beherrscht Japanisch und die wichtigsten europäischen Sprachen. Auf internationalem Parkett bewegt er sich sicher und ist mit moderner Physik vertraut. Als Einstieg soll er herausfinden, was der in Berlin nicht mehr auffindbare Heisenberg treibt. Moe Berg stellt eine Beziehung zu Paul Scherrer her, Physikprofessor an der ETH Zürich und persönlich mit Heisenberg bekannt. In dessen Haus gelingt es ihm unter einem Vorwand, einen Blick auf einen aktuellen Brief Heisenbergs an Scherrer zu werfen. Der Poststempel gibt Hechingen in der Schwäbischen Alb als neuen Aufenthaltsort des wichtigsten deutschen Atomforschers preis – eine Information erster Güte, die Berg an den amerikanischen Physikprofessor Samuel Goudsmit weitergibt, dessen Eltern von den Nazis umgebracht worden sind. Goudsmit sucht, ebenfalls in Groves’ Auftrag, nach Hinweisen auf deutsche Bemühungen um die Atombombe. Berg erfährt von Scherrer, dass Heisenberg im Dezember 1944 einen Vortrag über kosmische Strahlung in Zürich halten wird. Sein Auftrag lautet, sich den Vortrag mit geladener Pistole anzuhören und «bei dem leisesten Verdacht, dass Heisenberg

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