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Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Titel: Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Mania
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allerdings aus dem Staub gemacht. Werner Heisenberg ist nicht nur der wichtigste, sondern – so scheint’s – nach wie vor der sportlichste deutsche Physiker. Er ist mit dem Fahrrad unterwegs, weil er vor seiner sicheren Festnahme Frau und Kinder noch einmal sehen möchte. Er radelt nur nach Einbruch der Dunkelheit, um Tieffliegern und versprengten SS-Trupps auszuweichen, die in diesen letzten Kriegstagen tödliche Jagd auf Deserteure und Defätisten machen. Für die 250 Kilometer lange Fahrt nach Urfeld braucht er drei Nächte.
     
    Am 11. April 1945 teilt Robert Oppenheimer General Leslie Groves eine wichtige Neuigkeit mit. Endlich sind George Kistiakowsky genau jene symmetrischen Implosionen gelungen, die John von Neumann in seiner Theorie vorhergesagt hat. Da er in Los Alamos nur Aluminiumattrappen benutzen konnte, soll die neuartige Implosionsbombe mit dem echten Plutoniumkern erst noch in der Wüste von New Mexico getestet werden, bevor sie im Kriegsgeschehen zum Einsatz kommt. Einen Tag später, am 12. April 1945, stirbt der amerikanische Präsident Franklin Delano Roosevelt an einer Hirnblutung. Am selben Tag beendet Otto Frisch seine Versuche mit dem pflaumenblauen Uran-235. Seine Erkenntnisse zur kritischen Masse gehen in den Bau der Urangeschützbombe ein. Alle Experten auf der Mesa sind sich einig: Sie wird funktionieren, und deshalb werden sie auf eine Testzündung verzichten [Sza 2 :23]. Ein Test wäre auch gar nicht durchführbar, weil bis zum Sommer nicht genügend Bombenstoff zur Verfügung stünde, um eine zweite Bombe zu bauen. Die Anlagen in Oak Ridge arbeiten zwar mit Hochdruck, aber die Uranausbeute bleibt, gemessen am technischen Aufwand, gering.
    Ganz anders ist die Lage in Hanford. Hier verheißen die günstigen Produktionsraten zwei Plutoniumbomben bis zur Jahresmitte. John Archibald Wheeler berichtet allerdings von einem kuriosen Zwischenfall, den Hanford-Chef Matthias geheim hält. Das japanische Militär schickt massenhaft Papierballons mit Brandbomben an Bord über den Pazifik und hofft, den einen oder anderen Brand an der amerikanischen Westküste zu entfachen. Einer dieser Ballons verheddert sich ausgerechnet in der Stromleitung, die zu den Wasserpumpen des Hanford-Reaktors führen, sodass der Meiler kurzfristig abgeschaltet werden muss [Ber 2 :131].
     
    Die Zimmerleute staunen nicht schlecht, als sie am Morgen nach einem verordneten Ruhetag wieder an ihrem ungewöhnlichen Arbeitsplatz mitten in der Wüste erscheinen, 320 Kilometer südlich von Los Alamos. Das imposante Holzgerüst, das sie mit so viel Mühe errichtet hatten, ist nicht mehr da. Die Plattform in sechs Metern Höhe war aus massiven Eichenbalken gezimmert worden und hätte – wie einer der Arbeiter vorwurfsvoll bemerkt – ausgezeichnet als Tanzboden dienen können. Aber Testleiter Kenneth Bainbridge, MIT-Elektroingenieur und Princeton-Physiker, hat von Anfang an nichts anderes im Sinn gehabt, als hundert Tonnen TNT in Holzkisten auf dieser Eichenbühne zu stapeln und den haushohen Haufen in die Luft zu jagen. Schließlich müssen die Instrumente für den bevorstehenden Fat-Man-Test kalibriert werden. Ein mitten in den Sprengstoff platzierter Kanister mit Plutoniumlösungen aus Hanford soll die beim eigentlichen Test zu erwartenden radioaktiven Spaltprodukte simulieren. Bainbridge schwärmt in Superlativen von dieser größten chemischen Explosion aller Zeiten und von dem eindrucksvollen, orange leuchtenden Feuerball. Noch in hundert Kilometern Entfernung bezeugt ein eigens bestellter Beobachter die Leuchterscheinung und ein leises Donnergrollen. Bainbridge und sein Team rechnen die aufgezeichneten Daten der Explosion, der Druckwelle und des radioaktiven Fallouts auf die vermutete Sprengkraft der Plutoniumbombe hoch. So ergeben sich Hinweise auf die Sicherheitsvorkehrungen für Menschen, Messgeräte und Kameras, die den ersten und vermutlich ungleich wuchtigeren Auftritt des Dicken Mannes miterleben und aufzeichnen sollen.
    Der gewaltige Knall am frühen Morgen des 7. Mai ließe sich auch als Salutschuss für den Sieg der Alliierten über Deutschland werten, denn nur wenige Stunden zuvor hat der deutsche Generaloberst Alfred Jodl im französischen Reims die Urkunde unterschrieben, mit der die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht besiegelt wird. Die in Hechingen festgenommenen deutschen Atomphysiker halten sich auch seit ein paar Tagen in Reims auf [Bag:45]. Sie sind in einer Villa untergebracht,

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