Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe
er eine Methode aus, jeden Safe in der Stadt in drei Minuten zu knacken, sobald er die letzten beiden Zahlen der Kombination herausgefunden hat. Und die erobert er sich systematisch, wenn er, wie zufällig, in die Büros hereinschneit und zu plaudern beginnt, mit dem Rücken lässig am Tresor gelehnt und mit einer Hand an den Rädchen arbeitend [Bad:117]. Panzerknacker Feynmans Kapriolen demonstrieren seinen erschrockenen Kollegen, wie schlecht das Staatsgeheimnis Nummer eins geschützt ist.
Leo Szilard ist in diesen letzten Wochen vor dem geplanten Test der Plutoniumbombe rastlos unterwegs. Seine Beweggründe bringen General Groves zur Weißglut, denn der ist über dessen Reiserouten bestens informiert. Ähnlich wie Niels Bohr sieht auch Szilard – jetzt, da das Rennen um die Atombombe so gut wie gewonnen ist und die Städte des ärgsten Feindes in Trümmern liegen – keinen Grund mehr, weiter an Nuklearwaffen zu arbeiten. Auch er befürchtet einen «bewaffneten Frieden» nach dem Krieg. Er versucht, mit einflussreichen Politikern wie James Byrnes ins Gespräch zu kommen. Ausgerechnet der Mann, der so früh und hartnäckig wie kein Zweiter die Arbeit an der Bombe angeschoben hat, hält jetzt den Einsatz der Bombe gegen japanische Städte für einen schwerwiegenden Fehler. Er rechnet nach einer solchen unangekündigten Machtdemonstration mit einem nuklearen Wettrüsten zwischen der Sowjetunion und den USA, das in der Zerstörung beider Länder enden könnte. Byrnes hört Szilard zu, zeigt sich aber unnachgiebig und drängt Truman, den Befehl zum Einsatz der Bombe zu geben.
Zu diesem Zeitpunkt hat das sogenannte «Zielkomitee», zu dem auch Robert Oppenheimer gehört, aus einer Liste von 17 japanischen Städten bereits diejenigen herausgesucht, die von konventionellen Bombenangriffen bisher verschont geblieben sind. Nach den Berechnungen der Physiker müsste die Sprengkraft von Little Boy und Fat Man ausreichen, um eine Großstadt dem Erdboden gleichzumachen. Die Bombardierung einer unversehrten Stadt verspricht einen eindrucksvolleren Zerstörungseffekt.
Anders als in Los Alamos, sind die Atomwissenschaftler am Met Lab in Chicago der Bombe gegenüber kritisch eingestellt. Nobelpreisträger Arthur Compton, Chef des Met Lab, hatte 1942 seinen Nobel-Kollegen James Franck nur mit einem Zugeständnis zur Mitarbeit am Manhattan-Projekt bewegen können. Sollte kurz vor der Fertigstellung der Bombe kein anderer Staat auf einem vergleichbaren technischen Niveau angekommen sein, dürfte Franck, so lautete die Vereinbarung, seine kritischen Gedanken zum Umgang mit Atomwaffen führenden Politikern präsentieren.
Robert Oppenheimer unterstützt die Entscheidung des Zielkomitees. Er weiß nur zu gut, dass sein «Baby» vielen tausend Zivilisten den Tod bringen wird. Doch die Zweifel am eigenen Tun hat der einstmals so nachdenkliche Theoretiker längst in den Hintergrund gedrängt. Oppenheimer, der Macher, will die Bombe ohne Wenn und Aber. Und er will mit eigenen Augen sehen, ob sie das leisten kann, was die Berechnungen versprechen. Mit Selbstdisziplin und Motivationskunst steuert er dem erfolgreichen Abschluss der Unternehmung entgegen. In den letzten vier Wochen vor dem Test wird in Los Alamos die Anspannung unter den Mitarbeitern greifbar. Der Chef gelangt angesichts der noch ungelösten Probleme an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit und verlangt dasselbe von jedem Einzelnen.
James Franck hatte bereits vor fast 20 Jahren in Göttingen eine denkwürdige Begegnung mit dem jungen Oppenheimer. Er war als Prüfer bei dessen mündlichem Doktorexamen dabei und erzählte anschließend, er habe gerade noch rechtzeitig die Flucht ergreifen können, als Oppenheimer den Spieß umdrehte und nun seinerseits den Prüfern Fragen zu stellen begann. Jetzt ist es wieder der von Hitlers Arierparagraphen in die Neue Welt vertriebene Franck, der Oppenheimer mit ein paar heiklen Fragen konfrontiert. Dieses Mal geht es um nichts Geringeres als um die Glaubwürdigkeit und Verantwortung der internationalen Physikergemeinde, deren klügste Vertreter in Oak Ridge, Hanford und Los Alamos gerade ein Monstrum erschaffen, das die Welt zu verschlingen droht. Die Wissenschaftler des Met Lab unter Führung von Franck, Wigner und Szilard wollen jetzt, da Deutschland am Ende ist, die moralische Perspektive des Bombenbaus nicht länger verdrängen. Sie sind überzeugt: Nach einem Atombombenabwurf auf eine japanische Stadt wird die
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