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Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Titel: Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Mania
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jedoch den Mut auf, genau das zu behaupten. Wenn die elektromagnetische Theorie den Sturz der Energie abstrahlenden Elektronen in den Kern fordert und dies definitiv nicht geschieht, dann können diese Gesetze eben auf der grundlegenden Ebene der stofflichen Wirklichkeit nicht gelten.
    Um nicht den Überblick zu verlieren, klebt Bohr die linierten Bögen mit seinen Berechnungen zu einer langen Rolle zusammen, die er bei seinen Gesprächen mit Rutherford wie ein Gelehrter aus biblischen Zeiten entrollt. Und allmählich treten aus seinen Zahlenreihen und Formeln die Ringe des «Saturn» etwas deutlicher hervor: Bis zu acht Elektronen können auf einem «Saturnring» kreisen. Sie verlieren dabei keine Energie und können daher auch nicht in den Kern stürzen. So bleibt die Stabilität des Atoms gewahrt. Wenn Zahl und Anordnung der Elektronen aber die Chemie des Atoms bestimmen, ließe sich anhand der Elektronenzahl feststellen, ob man es mit einem Helium-, Gold- oder Natriumatom zu tun hat. Und da die Atome aller Elemente elektrisch neutral sind, muss die Zahl der positiv geladenen Teilchen im Kern mit der Zahl der negativ geladenen Elektronen genau übereinstimmen.
    Erstaunlicherweise ergibt sich aus den Bohr’schen Überlegungen ein weiteres prägnantes Zahlenverhältnis. Im chemischen Periodensystem sind ja die Elemente nach ihrem Atomgewicht angeordnet. Der leichte Wasserstoff steht an erster Stelle, während Uran als schwerstes Element an 92. und – nach dem Stand der Forschung im Jahr 1913 – letzter Stelle steht. Die Zahlen dieser Gewichtsrangliste werden Ordnungszahlen genannt. Nun stellt sich heraus, dass beispielsweise ein Magnesiumatom mit der Ordnungszahl 12 auch zwölf Elektronen hat, im Eisen – die Nummer 26 im Periodensystem – umrunden sechsundzwanzig Elektronen den Kern, und Quecksilber mit der Nummer 80 besitzt auch genau achtzig Elektronen. Mit dieser Eins-zu-eins-Entsprechung zwischen Ordnungs- und Elektronenzahl eines Elements entwickelt sich das Rutherford’sche «Saturnatom» allmählich zum Rutherford-Bohr-Atommodell, das neue Zusammenhänge zwischen Physik und Chemie der Elemente aufdeckt.
    Die Elektronen bewegen sich nicht auf allen geometrisch vorstellbaren, sondern nur auf «erlaubten» Bahnen mit einem genau festgelegten Radius um den Kern, wobei sie keine Energie abgeben. Erst wenn ein Elektron von einer solchen festen Bahn auf eine benachbarte Bahn mit niedrigerem Energieniveau «springt», strahlt es eine Energiemenge ab, die für das Element typische Spektrallinien erzeugt – zum Beispiel das Grün, Blau und Gelb des Bariums. Bei der Beschäftigung mit der Mathematik dieser Linien stößt Bohr auf eine Rechenvorschrift und macht dabei eine verblüffende Entdeckung: Er kann die Formel problemlos so umschreiben, dass sie die Planck’sche Konstante «h» enthält. Und die entfaltet auch hier ihre Wirkung, denn das springende Elektron strahlt scharf voneinander getrennte Energieportionen ab – Max Plancks Quanten. Und das bedeutet: Das Rutherford-Bohr-Atom unterliegt den Gesetzen der Quantentheorie.
    Als kurze Zeit später die ersten Übereinstimmungen experimenteller Daten mit der Bohr’schen Theorie bekannt werden, erteilt kein Geringerer als Albert Einstein Bohr den Ritterschlag: «Das ist eine enorme Errungenschaft. Bohrs Theorie muss demnach richtig sein» [Moo:71]. Andere Physiker sind ganz und gar nicht begeistert. Aus den Göttinger Seminaren zum Beispiel schlägt Bohr sowohl betretenes Schweigen als auch blankes Entsetzen über diesen Hochverrat an der klassischen Physik entgegen. Im November 1913 mag manche Schlussfolgerung Bohrs tatsächlich noch spekulativ und unzureichend begründet klingen, aber er selbst weiß, dass er auf dem richtigen Weg ist. In Manchester und Kopenhagen wird gerade ganz behutsam der Bauplan der Natur selbst nachgezeichnet. Energieniveaus sind gemessen und geometrische Beziehungen erkannt worden. Sie widersprechen den alten Theorien. Die Planck’sche Konstante scheint sich im Bewusstsein aufgeschlossener Physiker mittlerweile als eine Art Leitstern für die erfolgreiche Navigation durch das noch unerkundete Gelände der Atomphysik zu erweisen. Rutherford ist auf Bohrs Seite, Einstein ist begeistert, und eigentlich müsste sich auch Planck geschmeichelt fühlen, dass seine 13 Jahre zurückliegende Entdeckung offenbar eine entscheidende Rolle auf dieser fundamentalen Ebene der Natur spielt.

Kapitel 3
    PROTON
    Ein Beethovenkenner, der an einem

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