Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe
Präparaten vorsätzlich und nachprüfbar Stickstoff in Sauerstoff umzuwandeln. Als Niels Bohr im Juli 1919 seinen Mentor und Freund in Manchester besucht, erfährt er von ihm weitere Einzelheiten über die «kontrollierten oder sogenannten künstlichen Kernumwandlungen, mit denen er ins Leben rief, was er mit Vorliebe moderne Alchemie nannte, eine Entdeckung, die im Laufe der Zeit so ungeheure Bedeutung für die Herrschaft des Menschen über die Naturkräfte gewinnen sollte» [Boh:51].
1920 macht Rutherford schließlich den Vorschlag, den Wasserstoffkern als Elementarteilchen zu betrachten und ihm – als Kernbaustein eines jeden chemischen Elements – den Namen «Proton» zu geben. Die positive Ladung eines Atomkerns – egal ob Eisen, Gold, Cadmium oder Mangan – ist stets ein ganzes Vielfaches eines Wasserstoffatomkerns. Eine wunderbar elegante Theorie. Zu Beginn der 1920er Jahre hat es also den Anschein, als müsse die Natur einfach nur in ihren Protonen-Baukasten greifen, um stufenweise ihre 92 chemischen Elemente zusammenzusetzen. Fügt sie etwa dem Wasserstoffkern ein zweites Proton hinzu, entsteht Helium. Vier weitere Bauklötze draufgelegt, und wir haben Kohlenstoff, bis aus maximal 92 Klötzchen schließlich das schwerste Element Uran zusammengesetzt ist. Diesem Bild der Atomstruktur fehlt zwar noch die Detailschärfe, aber die Entdeckung des Protons ist ein bedeutsamer Fortschritt auf dem Weg zum Verständnis der kleinsten Bestandteile der Materie. Alle Erscheinungsformen dieser Welt haben sich der Kontaktfreudigkeit dieser 92 Elemente untereinander zu verdanken. Aus der Verbindung der Elemente Wasserstoff und Sauerstoff sprudelt Wasser hervor. Natrium und Chlor verbünden sich zu Salz, während Kartoffeln, Katzen und Menschen ihre Existenz hauptsächlich vielfältigen Kohlenstoffverbindungen zu verdanken haben.
Strahlende Schönheit kommt – das weiß die elegante Dame von Welt auch in den 1920er Jahren – nicht allein von innen. Deshalb sollte sie ihre natürliche Schönheit ohne Scheu mit der neuen Produktlinie «Tho-Radia» pflegen. Mit Radium angereicherte Gesichtsmilch und Hautcreme versprechen die Falten zu glätten und Unreinheiten wegzubleichen [www 16 ]. Strahlende Toilettenseifen, Lippenstifte und Reinigungswässerchen ergänzen dieses innovative Angebot der französischen Kosmetikindustrie. Die Radiumeuphorie ist auch nach dem Krieg ungebrochen, zumal sich das radioaktive Element angeblich als therapeutisch nützlich bei der Krebsbehandlung erwiesen hat. Wenn kaum wägbare Mengen dieses Stoff so unglaublich viel Energie abgeben, sollte er doch auch müde und abgespannte Körper beleben und die Gesundheit fördern können. Selbst im seriösen American Journal of Clinical Medicine schreibt ein Mediziner: «Die Radioaktivität beugt Geisteskrankheiten vor, löst edle Gefühle aus, hält den Alterungsprozess auf und steigert die Lebensfreude» [Fra]. Der sexuell geschwächte Herr jenseits der Lebensmitte muss nur zu einer Schachtel «Vita Radium»-Zäpfchen greifen. Die 15-Tage-Kur dient zur garantierten Wiederherstellung der Potenz. Und so verspricht auch der Beipackzettel «überschäumende Vitalität und Leidenschaft».
Der britische Chirurg und Direktor des Londoner Radiuminstituts Sir Frederick Treves will gar etwas Erhabenes und Mystisches im Zerfallsprozess des Radiums erkannt haben und schlägt einen kühnen Bogen von der selbstleuchtenden Substanz zu einer göttlichen Erscheinung aus dem zweiten Buch Mose. Er vergleicht das Radon spendende und nach menschlichem Ermessen nie versiegende Radium mit dem Dornbusch, der ewig brennt, ohne sich je zu verzehren, und aus dem Gott zu Moses sprach [NYT 1 ]. Treves verwaltet die enorme Menge von 860 Milligramm und hat gerade Ableger des Dornbuschs an 13 englische Krankenhäuser geschickt. 150 Milligramm sind für die permanente Herstellung von Radiumwasser reserviert, das in Flaschen abgefüllt und im ganzen Land verkauft wird. Es leuchtet im Dunkeln und ist 5000-mal stärker als die radioaktiven Quellen in Bad Gastein und St. Joachimsthal. In 1620 Jahren wird die Hälfte des Dornbuschs noch da sein und weiterhin unablässig Radon ausgasen. Der Leiter des Radiuminstituts behauptet, sein «flüssiger Sonnenschein» in Portionsflaschen habe das Rheuma bei 40 Prozent seiner Patienten weggestrahlt.
Ob Radium allerdings auch als Krebstherapeutikum taugt, ist heftig umstritten. Im Oktober 1921 äußert sich der Präsident des
Weitere Kostenlose Bücher