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Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Titel: Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Mania
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eigenen Gewehr selbst ein Bild von der Tauglichkeit seiner Idee machen. Ende Januar 1915 liegen Hahns Vorschlag und Proben der von Meitner und Baeyer präparierten radioaktiven Leuchtmasse der «Gewehrprüfungskommission» des preußischen Kriegsministeriums vor. Und dort, im Vorzimmer eines Entscheiders, irgendwo zwischen Stapeln von Anträgen und Gesuchen oder sauber in einem Aktenordner abgeheftet, scheitert dann wohl auch der Vorstoß, erstmals eine radioaktive Substanz mit einer Waffe in Verbindung zu bringen.
    Fritz Haber arbeitet inzwischen rund um die Uhr, denn die Rüstungsspirale schraubt sich bereits hoch. Den alliierten Soldaten steht schon bald eine primitive, aber wirksame Gasmaske gegen Chlor zur Verfügung. Deshalb will Haber einen Reizstoff finden, der durch Gummi und Leder dringt und den Feind dazu zwingt, sich die Maske vom Gesicht zu reißen, um dann, ungeschützt, von der zweiten Welle eines tödlichen Gases überwältigt zu werden. Die Gase werden später Grünkreuz und Blaukreuz, im gemeinsamen Einsatz sinnigerweise Buntkreuz genannt.
    Im Juni 1915 ist auch Gaspionier Otto Hahn am Rand eines niedergebrannten polnischen Dorfes «im Felde». Als Nachtlager dienen leere Särge, und als Schlaftrunk gibt es einen Teelöffel 95-prozentigen Alkohol. Bei günstigem Wind ist Phosgen oder «Grünkreuz» das Gas der Wahl. Es ist zehnmal giftiger als Chlor, riecht aber süßlich faul wie feuchtes Heu. Erstmals wird Hahn Zeuge eines Gasangriffs, der unter seiner Leitung stattfindet: «Es fiel kein Schuss … Der Angriff wurde ein voller Erfolg. Die Front konnte … um mehrere Kilometer vorverlegt werden.» Doch als die Wolke verweht ist, sieht er auf dem gewonnenen Terrain die Leichen der vergifteten Russen liegen und erlebt unmittelbar die Qual der zum Sterben Verdammten. Was ihn zu einer spontanen Hilfsaktion mit den eigenen Rettungsgeräten bewegt, die das Atmen erleichtern. Aber aus den Vergasten lassen sich keine Kriegsgefangenen mehr machen. Vermutlich schöpften sie beim herangewehten Heugeruch keinen Verdacht. «Ich war damals tief beschämt und innerlich sehr erregt, denn schließlich hatte ich doch selbst diese Tragödie mit ausgelöst» [Hah 3 :120].
    Im Frühjahr 1916 wird Hahn bei Bayer in Leverkusen mit der heiklen Aufgabe betraut, gekühltes, flüssiges Phosgen per Hand in Granaten abzufüllen, wobei er zum Schutz seiner Lungen eine spezielle Atemtechnik entwickelt. Offenbar ist die Bestürzung über die «im Felde» erlebte Phosgenwirkung dann doch schnell der Kriegsroutine gewichen, denn noch immer bereitet er an der Front Gaseinsätze vor, aber er stellt sich auch, fern der Kampflinien, für ein lebensgefährliches Experiment des Obersten Chemiekriegsherrn Haber zur Verfügung. Denn der will herausfinden, wann Gasmasken unwirksam werden. Hahn meldet sich freiwillig als «Versuchskaninchen». Er soll die Maske so lange tragen, bis das Gas die Atemwege erreicht hat. «Wir füllten dazu eine abgedichtete kleine Bretterbude mit einer exzessiv hohen Konzentration an Phosgen und hielten uns in dieser Atmosphäre auf, bis die Schutzwirkung der Gasmaske nachließ. Die Zeiten wurden von außen mit Stoppuhren bestimmt» [Hah 3 :125].
    Im April 1917 beschlagnahmt die Radium-Verwertungsgesellschaft mbH in Wien kurzfristig den gesamten Radiumvorrat in St. Joachimsthal, weil ein Großauftrag aus dem Deutschen Reich eingegangen ist. Offenbar sind die verstaubten Pläne Hahns, Meitners und Baeyers doch noch hervorgekramt und abgesegnet worden. Eine Fabrik in Budapest soll für die Armee Wilhelms   II. eine Million Gewehre mit selbstleuchtenden Visieren bestücken. Die für die Leuchtmasse benötigte Radiummenge wird mit 850 Milligramm veranschlagt. Ende August 1918, wenige Wochen vor Kriegsende, sollen Leuchtvisiere in angeblich verbesserter Ausführung einer Wiener Firma endlich einen ersten Praxistest bestehen. Das Ergebnis eines Scharfschützenkurses im österreichischen Bruck an der Leitha ist ernüchternd: «Ist das Ziel im Dunkeln nicht mehr wahrnehmbar, so ist auch ein beleuchtetes Visier zwecklos» [Bra:116]. Und damit ist das ganze Unternehmen als Schildbürgerstreich auf hohem Niveau entlarvt. Kluge und scharfsinnige Menschen wie Emil Fischer, Fritz Haber, Otto Hahn und Lise Meitner haben nicht erkannt, dass im Dunkeln in erster Linie das Opfer beleuchtet werden muss und nicht das Visier. Zwei Monate nach diesem ernüchternden Aus für das Aufrüsten von Waffen mit radioaktiven Substanzen

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