Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe
Hahn es für eine Entdeckung dieses Rangs wohl erwartet hätte. Er ist beleidigt und enttäuscht, doch zweifelt er keinesfalls an Meitners Loyalität.
Und während am 8. März aus aller Welt die Glückwünsche zu Hahns 60. Geburtstag eintreffen – auch Niels Bohr schickt ein Telegramm aus Princeton –, mischt sich eine schrille Stimme ein, die Hahn die Festtagsstimmung gründlich verdirbt. Ida Noddack habe sich «ungewöhnlich unfreundlich» in den Naturwissenschaften zu Wort gemeldet, schreibt er an Meitner. Plötzlich sieht Hahn sich mit den gleichen Anschuldigungen konfrontiert, die er selbst gerade in die Welt setzt. Noddack stellt nun ihrerseits Urheberansprüche auf die Idee der Kernspaltung und wirft Hahn vor, ihre Vorhersage von 1934 nicht zitiert zu haben, wonach der Urankern in mittelgroße Bruchstücke zertrümmert werden könne. Noddack erinnert Hahn an seine vielleicht etwas zu hochmütig formulierte Zurückweisung ihrer Idee vor fünf Jahren und verlangt nun die aus ihrer Sicht fällige Anerkennung: Er soll endlich ihren Namen nennen.
Diese hartnäckige Frau ist Hahn lästig. Und so verpasst er die Chance auf eine versöhnliche Geste und lässt sie nur indirekt über eine redaktionelle Anmerkung wissen, er habe «weder Zeit noch Lust», ihr zu antworten. Um dann die Tür endgültig zuzuschlagen, denn «die Möglichkeit eines Zerfalls schwerer Atome in kleinere Bruchstücke [sei] früher auch von vielen anderen diskutiert worden» [Nat13 : 213]. Hahn hat mit dem Herausgeber der Naturwissenschaften abgesprochen, dass jede weitere öffentliche Einmischung der Querulantin abgewürgt wird. Schade, denn es wäre aufschlussreich gewesen zu erfahren, wer die «vielen anderen» waren. Allerdings hätte sich Noddack dann auch die Frage gefallen lassen müssen, warum sie nicht gleich 1934 eigene Experimente zur Überprüfung ihrer Hypothese durchgeführt hat.
Lise Meitner reagiert ebenfalls ungewöhnlich schroff auf Noddack und schreibt an Hahn: «Dass … Frau Ida … eine unangenehme Urschl ist, habe ich immer gewusst. An die Arbeit selbst erinnere ich mich nur dunkel, ein Beweis, wie bedeutungslos sie war» [Hah 4 :118]. Das klingt wie eine Schutzbehauptung. Auch Meitner möchte ihre Interpretion der Kernspaltung als Erste publizieren. Und die bittere Wahrheit, dass ihre Transurane eigentlich Kernspaltungsfragmente sind, möchte sie sich nicht ausgerechnet von der Freiburger «Urschl» um die Ohren hauen lassen. An den Herausgeber der Naturwissenschaften schreibt sie: «Nichts konnte ihre unwissenschaftliche Kleinlichkeit und [ihren] Neid besser illustrieren als ihre eigenen Worte. Sie hat sich wirklich sehr blamiert» [Sim 1 :349].
Währenddessen sortiert Hahn mit zwei Inspektoren der Reichsschrifttumskammer verbotene und unerwünschte Bücher aus Meitners Privatbibliothek aus, damit wenigstens dieser gerupfte Bestand endlich nach Stockholm transportiert werden kann. Dabei hatte Hahn doch schon in vorauseilendem Gehorsam die Bücher von Thomas Mann verschwinden lassen.
«Da draußen wartet dieser Itaker, der Sie sprechen wollte, Sir» [Rho:291]. Der Ordonnanzoffizier von Admiral Stanford Hooper spricht so laut, dass Enrico Fermi auf dem Flur es nicht überhören kann. Unter dem Einfluss von Szilard und Wigner hatte George Pegram, Dekan der physikalischen Fakultät an der Columbia University, seine Verbindungen zur Marine spielen lassen und Fermi dazu überredet, nach Washington zu fahren. Dort soll er den Militärs die Bedeutung frei werdender Neutronen bei der Kernspaltung schmackhaft machen. Es sei an der Zeit, die Regierungsbehörden ins Boot zu holen. Das Gespräch am 18. März bringt nicht viel ein. Um die US Navy als Finanzier für großangelegte und kostspielige Kettenreaktionsexperimente zu gewinnen, ist der vorsichtig abwägende Fermi offensichtlich der falsche Mann. Er kann ihnen nicht versprechen, eine Atomwaffe zu bauen. Und einen zündenden Vortrag wird er auch nicht abgeliefert haben, denn man verabschiedet ihn mit der vagen Zusicherung, einen Vertreter in sein Columbia-Labor zu schicken, damit der sich vor Ort ein Bild machen könne. Mit Leo Szilard im Schlepptau wäre ihm womöglich mehr Erfolg beschieden gewesen. Der Visionär hätte mit seiner Nazi-Drohkulisse die Berufsparanoiker von der Navy wahrscheinlich auf die verschwörerische Ebene eines Rüstungswettlaufs mit dem deutschen Diktator ziehen können. Zumal Hitlers Truppen drei Tage zuvor tatsächlich in die
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