Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe
ausreichender Menge von Uran-238 zu trennen: «Je weiter die Anreicherung getrieben wird, desto kleiner kann die Maschine gebaut werden.» Dabei denkt Heisenberg an ein übersichtliches Volumen von einem Kubikmeter. Außerdem sei die Anreicherung dieser selteneren Uranatomsorte «die einzige Methode, um Explosivstoffe herzustellen, die die bisher stärksten Explosivstoffe um mehrere Zehnerpotenzen übertreffen». Zur Energieerzeugung genüge allerdings die Benutzung des gewöhnlichen U-238, «wenn man [es] mit einer anderen Substanz verbindet, die die Neutronen des Urans verlangsamt, ohne sie zu absorbieren» [Hei 4 :396]. Diese abgebremsten Neutronen spalteten dann weitere U-235-Kerne und lösten eine nukleare Kettenreaktion aus.
Im Konferenzraum des Eichamts in Washington haben sich die drei Ungarn nichts anmerken lassen. Ein schneller Blickkontakt im entscheidenden Augenblick hat genügt, um äußere Gelassenheit zu mimen. Aber jetzt, da sie wieder draußen vor dem Gebäude des Handelsministeriums stehen, gestikulieren und reden sie begeistert in ihrer Muttersprache Ungarisch. Diese Einladung ins Eichamt ist die erste Frucht der Begegnung zwischen Alexander Sachs und Franklin D. Roosevelt. Nachdem der Präsident Einsteins Brief gelesen hatte, beauftragt er den Direktor des Eichamts, Lyman Briggs, einen beratenden Ausschuss für Uran einzusetzen, dem Physiker und Offiziere angehören sollen. Szilard, Wigner und Teller sind an diesem Morgen des 21. Oktober 1939 eigentlich nicht mit der Hoffnung zu der Besprechung gekommen, von den dort versammelten Militärs eine finanzielle Unterstützung loseisen zu können.
Zunächst sieht es auch ganz und gar nicht danach aus. Nach den Ausführungen Szilards zur nuklearen Kettenreaktion kann es sich Oberst Adamson nicht verkneifen, süffisant den Witz über die Ziege zu erzählen, die angeblich auf dem Rasen vor dem Verteidigungsministerium angepflockt ist. Immerhin habe man einen Preis ausgelobt für denjenigen, der das Tier mit ferngelenkten Todesstrahlen vernichten könne. Nun aber werde die Ziege langsam alt und grau, und noch immer habe sich niemand den Preis verdient [Lan:210]. Fast vermasselt Edward Teller seinen Auftritt, als er, entgegen der Absprache mit den Freunden, frech die Summe von 15 000 Dollar als Anschubfinanzierung ins Spiel bringt. Was Schlitzohr Szilard diplomatisch auf 6000 Dollar für den Kauf von Graphit und die Kosten für erste Experimente herunterspielt. Worauf Adamson einen umständlichen Sermon anstimmt. Um eine neue Waffe entwickeln zu können, seien erfahrungsgemäß zwei Kriege nötig. Es sei ja wohl naiv zu glauben, man könne einen neuen Explosivstoff mal eben aus dem Handgelenk schütteln. Außerdem sei es nicht die Forschung, die einen Krieg entscheide, sondern die Kampfmoral der Truppe.
Der stets höfliche und zurückhaltende Eugene Wigner ist während der Rede des Oberst zunehmend unruhiger auf seinem Stuhl hin und her gerutscht und macht jetzt einen Vorschlag zur Güte. Falls tatsächlich die Moral einen Krieg entscheide, singt er mit seiner Fistelstimme, sollte man vielleicht die raison d’être des Kriegsministeriums neu überdenken und das Militärbudget unter der Zivilbevölkerung aufteilen. Was mit Sicherheit die Moral verbessern würde [And:11]. «Na schön, Sie kriegen Ihr Geld … Es gibt einen Fonds für solche Sachen», lenkt Adamson ein [Lan:211]. Am 1. November empfiehlt Lyman Briggs als Vorsitzender der Urankommission, Szilards Wunsch zu erfüllen und ihm 50 Tonnen Graphit sowie vier Tonnen Uranoxid zu beschaffen.
Kapitel 8
PLUTONIUM
Werner Heisenbergs erste Vision eines Kernreaktors vom Dezember 1939 hat bemerkenswerte Ähnlichkeit mit einem Kohlenmeiler. Er schlägt eine kugel- oder kegelförmige Schichtenstruktur vor. Jede soll eine Mindestfläche von einem Quadratmeter haben. Über einer Schicht Uranoxid liegt entweder eine Schicht schweres Wasser oder reiner Kohlenstoff. «Eine Maschine dieser Art würde durch die Spaltprozesse dauernd auf einer konstanten Temperatur gehalten, deren Höhe von der Größe des Apparats abhängt» [Hei 4 :396]. Die Wärmeentwicklung ist die Voraussetzung zur Erzeugung von Elektrizität. Beliebig hohe Temperaturen darf die Uranmaschine allerdings nicht erreichen, resümiert Heisenberg, «weil sonst der Prozess der Selbsterregung zum Stillstand kommt» [Bag:24 f.]. Seine Überlegungen geben die allgemeinen Richtlinien für die neun Arbeitskreise des Uranvereins vor.
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