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Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Titel: Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Mania
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Möglichkeit einer nuklearen Kettenreaktion bei der Kernspaltung hat.
    Beim Eistee auf der Veranda erhält der weltentrückte Segler von den beiden Ungarn eine Viertelstunde Nachhilfe in aktueller Kernphysik. «Daran habe ich gar nicht gedacht», zitiert Szilard Einsteins erste Reaktion. Wie kürzlich Robert Oppenheimer in Berkeley, begreift er sofort die Konsequenzen. Hier sitzt also der Mann, dessen tiefe Einsicht in die Wechselwirkung von Masse und Energie Lise Meitner und Otto Frisch zum entscheidenden Durchbruch bei der Interpretation der Hahn’schen Befunde geführt hat. Einsteins kleine Weltformel E = mc 2 gibt die Richtung vor: Wenn der Urankern in zwei Bruchstücke gespalten wird, geht ein Teil der Kernmasse verloren und wird als Bewegungsenergie freigesetzt – in einem Ausmaß, das bei keinem anderen physikalischen Prozess auch nur annähernd erreicht wird. Einsteins nächster Gedanke, berichtet Szilard [Lan:199], habe der erstaunlichen Tatsache gegolten, dass erstmals in der Geschichte der Energiegewinnung die Sonne keine Rolle spiele. Fossile Brennstoffe wie Erdöl, Erdgas und Kohle sind ja ursprünglich Schachtelhalme und Baumfarne gewesen, die Sonnenlicht in energiereiche Kohlenstoffverbindungen umgewandelt haben und die dann in der Erde versanken. Die Energie jedoch, die die Atome zusammenhält, lasse sich nicht auf die Sonne zurückführen.
    Dass die Kollegen im kriegslüsternen Deutschland offenbar bereits alle Uranvorräte zusammenkarren, wundert Einstein nicht im Geringsten. Schließlich hat der Pazifist 1914 in Berlin, beim Ausbruch des Weltkriegs, selbst erlebt, wie jedes Universitätsinstitut, vom Professor bis zum Assistenten, in den Dienst der effektiven deutschen Kriegsmaschinerie gestellt wurde. Er ist Zeuge der vom Krieg inspirierten Kreativitätsschübe seines Freundes Fritz Haber gewesen. Angesichts dieser prägenden Erfahrung mit der deutschen Gründlichkeit zögert Einstein keinen Augenblick, den Wunsch seiner Besucher zu erfüllen. Und so diktiert er Wigner auf Deutsch einen Brief an den belgischen Botschafter in Washington. Im Lauf des Nachmittags entwerfen die drei Physiker dann noch einen zweiten Brief an den amerikanischen Außenminister.
     
    Janet Coatesworth, eine junge Stenotypistin an der Columbia University, bekommt Anfang August einen Anruf. Ein Mann mit unaussprechlichem Namen und einem nicht identifizierbaren Akzent fragt sie, ob sie an einem Nebenverdienst interessiert sei. Er bestellt sie auf sein Zimmer im King’s Crown, wo auf Tisch, Bett, Stuhl und Fußboden lose Blätter und Bücher verstreut herumliegen. Ihr nervöser Auftraggeber ist – so viel hat sie gerade noch verstanden – in den vergangenen drei Wochen mit der ständigen Umformulierung und der Reinschrift zweier Briefe beschäftigt gewesen und ist offenbar an den Feinheiten der englischen Sprache gescheitert. Nun brauche er jemanden, der seiner dürftigen Grammatik und Rechtschreibung auf die Sprünge helfe, zumal der Adressat ein äußerst wichtiger Mann sei. Und so diktiert Leo Szilard der Stenotypistin in den Block: «An Franklin D. Roosevelt, den Präsidenten der Vereinigten Staaten. Weißes Haus. Washington D. C.» Amüsiert über das ungläubige Staunen der jungen Frau und beflügelt von der historischen Bedeutung seiner Mission, jagt er jetzt wie ein Tiger im Käfig von der Tür zum Fenster und wieder zurück, wobei er seine Worte mit theatralischen Gesten unterstreicht. Wie ein schlechter Schauspieler deklamiert er mit pathetischem Crescendo in der Stimme die Warnung vor einer welterschütternden neuen Waffe in der Hand Hitlers. Und beendet das Diktat mit einer dramatischen Pause vor den Worten «Herzlichst, Ihr Albert Einstein». Spätestens jetzt dämmert es Janet Coatesworth, einen Verrückten vor sich zu haben [Lan:202]. Denn sie weiß doch, wie Albert Einstein aussieht. Dieser Mann hier mit dem irritierenden Akzent, den zurückgekämmten dunklen Haaren und den Schweißperlen auf der Stirn ist mit Sicherheit nicht der weltberühmte Princeton-Gelehrte.
    Leo Szilard hat vor seiner Verabredung mit der Stenotypistin noch einmal Einstein besucht, dieses Mal mit Edward Teller als Chauffeur. Denn inzwischen hat er Alexander Sachs kennengelernt, den Vizepräsidenten der Lehman Investmentbank. Der hat sich seiner persönlichen Beziehung zu Roosevelt gerühmt und sich bereiterklärt, Einsteins Alarmbrief direkt dem Präsidenten vorzulegen. Also setzt sich Einstein an einen neuen Entwurf, den Szilard

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