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Ketzer

Ketzer

Titel: Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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bringen können, wohl gemeint gewesen war.
    »Aber jetzt dürfen wir Euch nicht länger aufhalten, Doktor Bruno.« Jenkes drehte sich zum Ladenraum um und griff nach den Schlüsseln an seinem Gürtel. »Ihr wollt doch sicher Euren Freund Florio einholen. Übrigens, es versteht sich von selbst, dass unser Gespräch strikt unter uns bleibt. Ich bin der Einzige in der Stadt, dem Ihr bezüglich religiöser Fragen trauen könnt. Ihr kennt die Gefahren ja wohl.«

    Ich nickte, als er die Tür zur Straße aufschloss und ich erleichtert registrierte, dass der Regen nachgelassen hatte.
    Dann drehte ich mich noch einmal um und sah ihn mit vor der Brust verschränkten Armen vor seinem Geschäft stehen. Er machte einen ausgesprochen zufriedenen Eindruck.
    »Und was ist mit dem Buch?«
    »Bei unserem nächsten Treffen erzähle ich Euch alles darüber.«
    »Ihr habt noch etwas vergessen«, erinnerte ich ihn leise. »Die Losung.«
    Jenkes’ narbiges Gesicht verzog sich zu einem Lächeln.
    »Die hat man Euch doch schon mitgeteilt, Doktor Bruno«, flüsterte er, ehe er mit den Lippen die Worte Ora pro nobis formte.

15
    Ein kühler Wind trieb die dunklen Regenwolken über den Himmel und gab den Blick auf eine höhere perlgraue Wolkenschicht frei, als der Regen weiter nachließ und endlich ganz aufhörte. Ich schritt die schlammigen Straßen entlang zum Lincoln zurück, so tief in Gedanken versunken, dass ich kaum merkte, wie meine feuchten Kleider auf meiner Haut scheuerten. Als ich das Tor erreichte, hörte ich das melancholische Läuten der Glocke, die zur Abendandacht rief, aber auf den Anblick, der sich mir bot, als ich in den Hof trat, war ich nicht gefasst gewesen. Gruppen von Studenten und Fellows drängten sich am Eingang zum Treppenhaus, das zur Bibliothek und zur Kapelle führte, und starrten zu den Fenstern empor. Eine gespenstische Stille hing über dem Hof; die Männer wechselten nur geflüsterte Worte und starre Blicke. Eine nahezu greifbare Furcht hing in der Luft. Ich verlangsamte meine Schritte und näherte mich der mir am nächsten stehenden Studentengruppe, um herauszufinden, was hier vorging, als sich Richard Godwyn zu mir hindurchkämpfte. Die Erleichterung stand ihm im Gesicht geschrieben.
    »Doktor Bruno, der Rektor hat nach Euch gefragt«, sagte er leise. »Kommt bitte mit.«
    Er nahm mich am Ellbogen und geleitete mich durch die neugierig gaffende Menge zu dem Eingang, der zur Bibliothek und zur Kapelle führte. Am Fuß der Treppe stand der stämmige Küchendiener, der schon zuvor den Zugang zu Coverdales Räumen bewacht hatte. Er warf uns einen Blick zu und nickte knapp.
Godwyn führte mich zur Kapelle und klopfte behutsam an die Tür, die augenblicklich von Slythurst geöffnet wurde, der mich finster anfunkelte, aber zur Seite trat, um mich einzulassen. Im selben Moment schlug mir der Geruch von Blut entgegen. Rektor Underhill erhob sich von einer der Bänke in der Nähe der Tür, umklammerte meine Handgelenke mit beiden Händen und sah mich mit verzweifelten rot geränderten Augen an.
    »Gott straft uns, Bruno«, flüsterte er mit brechender Stimme. »Er häuft glühende Kohlen auf mein sündiges Haupt. Selbst hier, in unserer heiligen Kapelle …« Ohne seinen Griff zu lockern, wich er zur Seite, und ich sah den Grund für seine Qual. Am Fuß des Altars lag ein zusammengesunkener Körper. Ich trat langsam näher. Die Binsen auf dem Boden und das weiße Altartuch waren mit Blut bespritzt, und sogar vom anderen Ende der Kapelle aus konnte ich erkennen, dass der Leichnam einen roten Haarschopf hatte.
    »Es ist nichts angerührt worden«, krächzte der Rektor. »Ich wollte, dass Ihr Euch das erst anseht. Kurz vor fünf kam ich in die Kapelle, um die Abendandacht vorzubereiten, und da fand ich …« Seine Stimme versagte, und er sank schwer auf die Bank neben ihm.
    Ich kniete mit zusammengebissenen Zähnen neben dem Leichnam nieder. Ned, der Bibeljunge, lag mit Hemd und Hose bekleidet auf dem Rücken. Seine Augen wirkten unnatürlich groß und quollen aus den Höhlen hervor; in festgefrorenem Entsetzen starrten sie blicklos zur Decke. Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, warum sein leerer Blick so schrecklich war – seine Lider waren weggeschnitten worden. Ich beugte mich über ihn und hielt ungläubig den Atem an. Dies war nicht die einzige Verstümmelung im Gesicht des Jungen; beide Wangen waren aufgeschlitzt worden, der Mund war blutig und geschwollen, dicke Blutrinnsale bedeckten sein Kinn. Ned

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