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Ketzer

Ketzer

Titel: Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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war kaum alt genug gewesen, um sich zu rasieren.
    »Der Altar«, flüsterte Underhill mit einem Kopfnicken in die betreffende Richtung.

    Ich blickte hoch und zuckte zusammen. Ein dunkelroter fleischiger Klumpen lag in der Mitte des Altars. Blut sickerte daraus auf das weiße Tuch und bildete dort einen hässlichen Fleck.
    »O Gott«, entfuhr es mir, denn ich wusste sofort, was ich da sah. Vorsichtig drückte ich Neds Unterkiefer nach unten und gab den Blick auf den Zungenstumpf frei. Die Bewegung löste einen neuen Blutstrom aus, und ich wich instinktiv zurück, obwohl mir klar war, dass Ned nicht mehr am Leben sein konnte.
    »Er wurde erst vor kurzer Zeit getötet«, stellte ich, an den Rektor gewandt, fest. Dieser nickte und fuhr sich mit den Händen über das Gesicht.
    »Ned kam jeden Tag gegen vier Uhr hierher, um die Kapelle für den Gottesdienst um fünf herzurichten«, murmelte er nahezu unhörbar. »Das ist die oberste Pflicht des Bibeljungen. Jeder wusste, wo er ihn um diese Zeit finden konnte. Die Kapelle wird nicht abgeschlossen. Der oder die Mörder müssen sich versteckt und auf ihn gewartet haben. Armer Junge.« Er schüttelte den Kopf. »Aber seht Ihr, was ihm angetan worden ist, Bruno?«
    Er sah erwartungsvoll zu mir auf.
    »Wieder Foxe?«
    Er nickte knapp.
    »Ich glaube, diesmal ist Romanus gemeint. Sein Martyrium kommt im ersten Buch gleich nach dem des heiligen Alban, von dem ich gestern in der Kapelle erzählt habe. Romanus’ Peiniger verstümmelten ihn, um ihn daran zu hindern, Hymnen zu singen, aber als sie ihm das Gesicht zerschnitten, dankte er ihnen dafür, ihm weitere Münder geöffnet zu haben, mit denen er Gott preisen könne.«
    »Diese Heiligen waren auf ihre Art wirklich schlagfertig«, bemerkte ich grimmig.
    »Also schnitten sie ihm die Zunge heraus, und am Ende erwürgten sie ihn.« Underhill schluckte vernehmlich und schlug eine Hand vor den Mund.
    Ich zog Neds Hemd von seinem Hals fort, und richtig, sein blasses Fleisch wies die dunklen Würgemale kräftiger Finger auf.
    »Sie haben ihm die Zunge herausgeschnitten, um ihn zum Schweigen zu bringen«, grübelte ich halblaut. Erst wenige Stunden zuvor hatte Ned mir erzählt, was er am Samstagabend gesehen hatte. War er deswegen gestorben? Ich rief mir unsere Unterhaltung wieder ins Gedächtnis. Wer konnte sie mit angehört haben? Lawrence Weston? Aber der Gang hatte von Studenten und Fellows gewimmelt, die dort Schutz vor dem Regen gesucht hatten, jeder von ihnen hätte sehen können, wie ich Ned den Shilling überreichte, den er nicht mehr hatte ausgeben können. Der Gedanke, dass ich unwissentlich das furchtbare Schicksal des armen Jungen mitbestimmt habe, erfüllte mich einen Moment lang mit Entsetzen, dann riss mich ein Hüsteln aus meiner Versunkenheit.
    »Nachdem Doktor Bruno so freundlich war, uns sein fachmännisches Urteil hören zu lassen, sollte ich vielleicht die Constables rufen, Rektor«, sagte Slythurst mit eisiger Stimme. »Wer auch immer das getan hat, er kann noch nicht weit sein. Wenn sie sofort mit der Suche beginnen …«
    »Der Täter hält sich höchstwahrscheinlich noch auf dem Universitätsgelände auf«, wandte ich mich an den Rektor. »Wenn dem so ist, dürfte er kaum Zeit gehabt haben, sich das Blut von den Händen zu waschen. Ihr müsst sofort die gesamte Gemeinschaft in der Hall zusammenrufen. Irgendjemand muss etwas gesehen haben.«
    Der Rektor nickte und drehte sich zu Slythurst um.
    »Walter, geht hinunter, verständigt alle Studenten und Fellows und sagt ihnen, sie sollen sich in der Hall einfinden, wie es Doktor Bruno vorgeschlagen hat«, ordnete er an. »Sorgt dafür, dass alle anwesend sind, klopft an jede Tür und zerrt sie aus ihren Kammern, wenn es sein muss.«
    Slythurst bedachte mich mit einem wutentbrannten Blick, machte aber auf dem Absatz kehrt und verließ die Kapelle.
    »Was habt Ihr getan, nachdem Ihr den Leichnam gefunden habt?«, fragte ich den Rektor.
    »Ich – ich habe um Hilfe gerufen – ich konnte nicht klar denken«,
stammelte Underhill. »Richard war in der Bibliothek und kam sofort herüber. Dann blieb ich bei dem Toten, und er ging auf die Suche nach Walter.«
    »Ihr wart die ganze Zeit in der Bibliothek?«, wandte ich mich an Godwyn, der noch immer sichtlich aufgewühlt an der Tür stand.
    »Nun ja«, antwortete er mit einem wachsamen Ausdruck in den Augen. »Ich habe den ganzen Nachmittag dort gearbeitet.«
    Ich starrte ihn ungläubig an.
    »Und Ihr habt nichts gehört?

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