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Ketzer

Ketzer

Titel: Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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Universitätsgemeinschaft ist in der Hall versammelt, Rektor, allerdings nicht vollständig, fürchte ich.« Er warf mir einen Blick zu. »Ich kann William Bernard nicht finden. Gabriel Norris und Thomas Allen scheinen auch nicht in ihrer Kammer zu sein. Und John Florio wurde seit dem Nachmittag nicht mehr gesehen.«
    Der Rektor nickte und erhob sich schwerfällig.
    »Geht schon voraus, Walter, und Ihr auch, Richard«, sagte er. »Ich komme gleich nach. Nachdem ich mit den Männern gesprochen habe, werde ich eine Ausgangssperre verhängen. Jeder bleibt heute Abend in seiner Kammer, bis wir alle Räume durchsucht haben.«
    »Gäste eingeschlossen, nehme ich an.« Slythurst schlang die Arme um den Oberkörper.

    »Jeder«, bestätigte der Rektor mit fester Stimme. »Und jetzt möchte ich mit Doktor Bruno kurz unter vier Augen sprechen.«
    Widerstrebend folgte Slythurst Godwyn zur Tür hinaus.
    Underhill drehte sich so langsam zu mir um, als koste ihn die Bewegung unendliche Anstrengung. In seinem Gesicht las ich abgrundtiefe Verzweiflung.
    »Meine Tochter ist immer noch nicht nach Hause gekommen, Bruno.«
    In seiner Stimme schwang eine solche Endgültigkeit mit, dass ich einen Moment lang meinte, selbst unter der Last seines Kummers zusammenzubrechen, doch ich schüttelte den Kopf.
    »Sie muss zu einer Freundin gegangen sein. Fällt Euch da denn niemand ein?«
    »Sophia hat keine Freunde im üblichen Sinn. Sie lehnt die Gesellschaft junger Frauen ihres Alters ab. Hättet Ihr mich vor ein paar Tagen nach ihren Freunden gefragt, hätte ich geantwortet, ich wüsste niemanden. Aber jetzt…« Er brach ab und drehte sich zum Fenster, als würden ihn unsichtbare Augen durch die Scheibe beobachten.
    »Was jetzt? Habt Ihr irgendetwas entdeckt?«
    »Ich war blind, Bruno. Ich habe meine Kinder ebenso im Stich gelassen wie die Universität.«
    Obwohl ich fürchtete, er könne mit dieser Äußerung den Nagel auf den Kopf getroffen haben, rührte mich die Qual des Mannes. Ich trat zu ihm und legte ihm eine Hand auf die Schulter.
    »Ihr dürft Euch nicht die Schuld an den Todesfällen geben. Und Sophia wird gesund und munter gefunden werden, und wenn ich die ganze Nacht reiten muss, um sie zu suchen.«
    Ich hatte nicht beabsichtigt, so leidenschaftlich zu sprechen. Underhill blickte fragend zu mir auf, ehe sein Gesicht wieder seinen alten kummervollen Ausdruck annahm.
    »Es ist sehr freundlich von Euch, das zu sagen.« Er tätschelte meine Hand, als wolle er mir für die Geste danken. »Aber Ihr irrt Euch. Als sie heute Nachmittag noch nicht zurück war, habe
ich ihre Kammer durchsucht. In ihre Matratze war das hier eingenäht.«
    Er griff in sein Wams, zog ein kleines Buch mit einem abgenutzten Ledereinband hervor und reichte es mir. Ich blätterte ein paar Seiten um und stellte fest, dass es sich um ein Stundenbuch ähnlich dem handelte, das ich in Jenkes’ Werkstatt gesehen hatte. Alter und Handwerkskunst stimmten ungefähr überein, aber dieses hier war kleiner und schlichter. Die Seiten waren in gutem Zustand, die Bilder der Heiligen unversehrt. Mein Herz wurde schwer. Dass Sophia ein so offenkundig katholisches Buch besaß und es auch noch sorgfältig vor ihren Eltern versteckt hatte, konnte nur eines bedeuten.
    »Seht Euch das Deckblatt an«, murmelte Underhill.
    Ich tat, wie mir geheißen. Auf dem Deckblatt prangte eine handgeschriebene Widmung, ein Vers aus der Bibel: »Denn Weisheit ist besser als Perlen, und alles, was man sich wünschen mag, kann ihr nicht gleichen.« Darunter stand in eleganter, verschnörkelter Schrift: »Ora pro nobis. Der Deine in Christus, J.«
    Underhill beobachtete mich erwartungsvoll.
    »Das ist ein Zitat aus den Sprüchen Salomos, nicht wahr?«
    »Begreift Ihr denn nicht?«, versetzte er ungeduldig. »Wie lautet das griechische Wort für Weisheit? Sophia ! Ein papistisches Gebetbuch mit einer Widmung für sie! Sie haben sie direkt unter meiner Nase bekehrt, während ich mich in Foxes Werken vergraben und versucht habe, hier für Leicester für Ruhe und Ordnung zu sorgen!« Er schüttelte den Kopf und blickte zu Boden.
    »Rektor Underhill, wer hat sie bekehrt?«, fragte ich scharf. »Und wer ist dieser J., wisst Ihr das? Wen schützt Ihr?«
    »Nur mich selbst«, erwiderte er nahezu unhörbar. »Und meine Familie – das dachte ich zumindest. Ich hätte nie geglaubt, dass es so weit kommen könnte.«
    Jenkes, dachte ich grimmig. Nur er hatte ein so schönes französisches Stundenbuch auftreiben

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