Ketzer
hätte hier jemand ein Spektakel inszenieren wollen. Was für eine grauenvolle Art zu sterben – eingesperrt mit einer wilden Bestie! Erinnert mich daran«, er schob sich ein weiteres Stück Brot in den Mund, »wie die Römer die frühen Heiligen hinzurichten pflegten – sie trieben sie in eine Arena voll wilder Tiere. So beschreibt es John Foxe in seinem grässlichen Buch der Märtyrer . «
Ich verharrte in meiner Bewegung und starrte Sidney mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen an – das Pastetenstück, das ich mir einverleiben wollte, befand sich gerade auf halbem Wege zum Mund.
»Was ist denn?« Sidney hielt mit dem Kauen inne.
»Foxes Buch der Märtyrer! Der Rektor des Lincoln College hat großes Interesse daran – er benutzt seine Texte sogar als Grundlage für seine Predigten in der Kapelle.«
Sidney runzelte die Stirn.
»Du meinst, jemand wollte diesen Mercer loswerden und hat sich dazu von Foxe inspirieren lassen?«
Sein Gesicht verriet deutliche Skepsis.
»Es klingt weit hergeholt, das gebe ich zu. Unter Umständen lese ich zu viel in diese Sache hinein.« Ich fuhr mir mit den Händen über mein Gesicht. »Du hast recht, es ging vermutlich um irgendeine uneinbringliche Schuld oder um Streit wegen einer Hure. Kein Wunder, dass der Rektor das Ganze vertuschen will, solange sich eine königliche Abordnung in der Stadt aufhält.«
Sidney schwieg einen Moment lang, dann schlug er mit der flachen Hand auf den Tisch.
»Nein, Bruno – ich denke, du hast zu Recht Verdacht geschöpft! Der Hund wurde von irgendjemandem in den Garten gelassen, der einen Schlüssel zu den Toren hatte, was auf einen der Fellows oder jemanden hindeutet, der Zugang zu den Schlüsseln hat. Und mindestens zwei Leute haben etwas in Mercers Kammer gesucht, allerdings kein Geld, sondern vermutlich etwas, das ihnen irgendwie gefährlich werden könnte. Und wenn jeder an der Universität kürzlich Geschichten von den grausamen Märtyrertoden aus Foxes Buch gehört hat, wurde einer von ihnen vielleicht absichtlich nachgeahmt. Die Frage ist nur, warum. Hast du in seiner Kammer denn gar nichts gefunden?«
»Nur das hier. Sieh es dir an!« Ich zog den Almanach aus meinem Wams. »Was fällt dir daran als Erstes auf?«
Sidney blätterte ein paar Seiten um, dann sah er mit ernstem Gesicht zu mir auf.
»Ein gregorianischer Kalender. War unser Mann ein heimlicher Papist wie sein Freund Allen?«
»Das ist gerade die Frage. Ich hörte ihn kurz vor seinem Tod den Namen der Jungfrau Maria rufen.«
»Das täte ich auch, wenn ein Hund dieser Größe nach meinem Arsch schnappt«, gab Sidney unverblümt zurück, dabei drehte er das Buch in den Händen. »Das hat nichts zu bedeuten. Aber dieser Kalender – den brauchst du nur, wenn du mit jemandem in den katholischen Ländern korrespondierst, vor allem, wenn du bestimmte Aktivitäten koordinieren musst. Edmund Allen ist nach Reims gegangen, nicht wahr? Ist er mit William Allen verwandt, der die dortige englische Universität gegründet hat?«
»Sie sind Vettern, heißt es. Glaubst du, Mercer könnte immer noch Kontakt mit ihm gehabt haben?«
Sidney blickte sich verstohlen um und dämpfte seine Stimme.
»Vergiss nicht, weshalb wir hier sind, Bruno. Diese Seminare in Reims und Rom stellen im Moment Walsinghams größtes Problem dar – sie erhalten riesige Summen vom Vatikan und bilden Dutzende von Priestern zu englischen Missionaren aus, zu denen zahlreiche ehemalige Oxford-Absolventen gehören.« Er zupfte nachdenklich an seinem Bart, bis er erneut nach dem Buch griff. »Was hat dieser kleine Kreis hier zu bedeuten?« Er deutete auf das Radsymbol, das für den gestrigen Tag in Mercers Kalender eingetragen war.
»Ich weiß es nicht. Es taucht oft auf. Ich frage mich, ob es sich um einen Code handeln könnte.«
Sidney inspizierte das Zeichen genauer, danach schüttelte er den Kopf.
»Ich kenne es, ich weiß nur nicht, woher. Sieht aus wie eines deiner magischen Symbole, Bruno.«
Ich hatte es nicht laut aussprechen wollen, dieser Gedanke war mir freilich auch schon gekommen. Roger hatte mir im Vertrauen gestanden, sich für Magie zu interessieren. Allerdings
erkannte ich das Symbol nicht, und gerade deswegen faszinierte es mich.
»Es ist kein astrologisches Symbol, so viel steht fest«, überlegte ich laut. »Das ist jedoch nicht das Wichtigste. Riech doch einmal an dem Buch!«
Sidney runzelte nachsichtig die Stirn und hob das Buch an seine Nase.
»Orangen?«
»Ja. Sieh
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