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Ketzer

Ketzer

Titel: Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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direkt vor meinen Augen«, mahnte ich ihn zermürbt.
    »Ich weiß – ich will alles darüber hören«, versetzte er. »Komm, zieh dich an, Mann. Ich bin gekommen, um dich zum Essen einzuladen.«
    »Wie spät ist es denn?«, fragte ich, von plötzlicher Panik erfüllt. Ich hatte eindeutig länger geschlafen als beabsichtigt, und mein Magen knurrte vernehmlich, aber mit meinen Vorbereitungen für die Disputation um fünf hatte ich noch nicht einmal begonnen.
    »Kurz nach eins.« Sidney schlenderte im Raum umher, nahm Bücher zur Hand und betrachtete sie müßig, während ich nach einer sauberen Hose und einem schlichten Wams suchte. »Ein Bursche vom Christ Church behauptet, ein Wolf wäre auf das Universitätsgelände gelangt – das hielt ich für äußerst unwahrscheinlich. Hast du gesehen, was passiert ist?«
    »Morgen ist aus dem Wolf mit Sicherheit ein Löwe geworden«, knurrte ich. »Diese Studenten lechzen nach Abwechslung jeglicher Art, sie machen aus derartigen Vorfällen Legenden. Aber ich bin froh, dir alles erzählen zu können, denn es gibt vieles, das mir Kopfschmerzen bereitet, und außerdem muss ich dir etwas zeigen. Zuerst sollten wir jedoch sehen, dass wir etwas in den Magen bekommen.« Ich zog den Almanach unter meinem Kopfkissen hervor und schob ihn in mein Wams, bevor ich es zuknöpfte. Sidney beobachtete mich neugierig bei dieser Aktion.
    Die Luft war noch immer feucht, obgleich der Himmel heller schimmerte, als wir durch den Torturm die St. Mildred’s Lane
betraten und anschließend südlich am hohen, spitzen Kirchturm der Kirche von St. Mary vorbeigingen. Auf der High Street blieben wir stehen, um zwei Reiter vorbeizulassen, dann schlugen wir Bogen um die Mist- und Strohhaufen, die die schlammige Durchgangsstraße zumüllten. Ich war froh, meine Reitstiefel angezogen zu haben. Junge Männer in kurzen schwarzen Roben eilten eifrig miteinander schwatzend an uns vorüber. An der Ecke einer schmalen, von niedrigen Häusern gesäumten Gasse bog Sidney ab und führte mich zu einem zweistöckigen Gebäude mit Giebeldächern, über dessen Tür ein Schild mit der Aufschrift Peckwater Inn hing.
    Auf dem gepflasterten Hof herrschte geschäftiges Treiben. Männer führten Pferde zu einem Stall, andere luden schwere Fässer von einem hohen Karren ab. Das Gebäude nahm drei Seiten eines Vierecks ein. Entlang jeder Seite verliefen zwei Balkonreihen, die auf den Hof hinausgingen.
    Im Schankraum war es dämmrig. In einem steinernen Kamin an einem Ende des Raumes prasselte ein Feuer. Die roh gezimmerten Tische und Bänke waren größtenteils schon von Gästen besetzt, die sich beim Essen geschäftig unterhielten. In die Wand gegenüber der Feuerstelle war eine Durchreiche eingelassen, und eine rotgesichtige Frau schleppte hölzerne Platten und Zinnhumpen zwischen ihr und den Tischen hin und her. Gelegentlich blieb sie stehen, um sich mit dem Handrücken eine feuchte Haarsträhne aus dem Gesicht zu streichen. Als sie uns sah, wich ihre gehetzte Miene einem strahlenden Lächeln. Sie wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab und eilte auf uns zu.
    »Sir Philip – was für eine Freude, Euch zu sehen! Wir hörten schon, dass Ihr wieder in der Stadt seid«, sagte sie augenzwinkernd. »Es heißt, Euch zu Ehren wäre eine große Prozession veranstaltet worden.«
    »Es war eine sehr nasse Prozession, und die Ehre galt nicht mir, Lizzy.« Sidney nahm seinen Hut ab und verneigte sich pathetisch. »Darf ich dir meinen lieben Freund Doktor Giordano Bruno aus Italien vorstellen?«

    »Buongiorno, Signorina «, ahmte ich Sidneys übertriebene Höflichkeit nach.
    »Es ist mir ein Vergnügen«, kicherte sie. Ihr mächtiger Busen bebte.
    »Also, Lizzy – wir hätten gern einen ruhigen Tisch, einen Krug Bier, deine beste Fleischpastete und frisches Brot, wenn es geht.«
    Lizzy strahlte ihn immer noch an.
    »Dann nehmt Ihr am besten den Ecktisch, da werdet Ihr nicht gestört.« Mit diesen Worten verschwand sie in der Küche.
    »Ich war früher ständig hier«, erklärte Sidney. »Die Schänke liegt ganz in der Nähe des Christ Church, und die Gesellschaft hier war interessanter als die an der Universität, wenn du verstehst, was ich meine. Wir werden auf jeden Fall aufmerksam bedient werden, man weiß, dass ich großzügige Trinkgelder gebe. Und jetzt erzähl mir deine Geschichte, Bruno.«
    Er lehnte sich zurück und faltete mit der Miene eines Mannes, der erwartet, gut unterhalten zu werden, die Hände. Ich fand, dass

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