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Ketzer

Ketzer

Titel: Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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er den grausamen Tod eines Menschen eine Spur zu sehr auf die leichte Schulter nahm, ihn als Material für eine spannende Geschichte betrachtete. Darin erinnerte er mich an Gabriel Norris. Vielleicht ist das ja ein Charakterzug reicher junger Männer, dachte ich – da sie keine Pflichten haben, sind sie ständig auf der Suche nach Abenteuern. Ich setzte gerade an mit meinem Bericht, als Lizzy mit einem Krug Bier, zwei Humpen sowie einem Laib Brot erschien, den Sidney sofort in Stücke brach, wobei er mir eins reichte.
    Mit halb vollem Mund erzählte ich ihm alles, was passiert war, nachdem ich von dem grässlichen Gebell des Hundes geweckt worden war. Als ich die Sache mit den verschlossenen Toren schilderte, entschwand sein wohlgefälliger Gesichtsausdruck, er beugte sich vor, und seine Augen begannen fiebrig zu glitzern.
    »Du witterst ein falsches Spiel?«, fragte er, gerade als die Schankwirtin aufs Neue mit einer Platte, auf der eine dicke, saftige Fleischpastete lag, an unseren Tisch trat.

    Sowie sie sich entfernt hatte, berichtete ich ihm von meinem unerlaubten Eindringen in Roger Mercers Kammer, die Unterbrechung durch Slythurst und mein darauf folgendes Gespräch mit dem alten Pförtner. Als ich geendet hatte, pfiff Sidney durch die Zähne.
    »Eigenartige Geschichte«, meinte er mit einem ungläubigen Kopfschütteln. »Du vermutest also, dass jemand diesen Hund absichtlich auf ihn losgelassen und danach seine Kammer durchsucht hat, weil er irgendetwas Wertvolles an sich bringen wollte.«
    »Das ist ja gerade das Rätsel«, entgegnete ich. »Es kann nicht im herkömmlichen Sinn wertvoll sein, weil der Täter weder an den zehn Pfund, die Roger bei sich trug, noch an der Truhe mit Gold in seiner Kammer interessiert war. Das ist es ja, was ich nicht begreife – jemand hat ihn unter dem Vorwand, ihn treffen zu wollen, in den Garten gelockt, und zwar eindeutig jemand, dem er Geld schuldete. Warum hat dieser Jemand dann nicht das Geld genommen und Roger im Anschluss daran getötet?«
    »Es muss sich nicht zwingend um Schulden gehandelt haben«, gab Sidney mit vollem Mund zu bedenken. »Könnte es nicht sein, dass ihm jemand etwas verkaufen wollte?«
    Ich runzelte die Stirn. »Doch was sollte er zu dieser Stunde im Garten kaufen wollen? Schmuggelware?«
    Sidney betrachtete mich belustigt. Ein wissendes Lächeln spielte um seine Lippen.
    »Denk nach, Bruno – was könnte ein Mann sonst noch im Schutz der Dunkelheit kaufen wollen?«
    Ich starrte ihn verständnislos an, dann dämmerte mir, was er meinte.
    »Du meinst Huren? In diesem Fall wäre es doch viel einfacher – und wärmer –, ein Freudenhaus in der Stadt aufzusuchen.« Ich schüttelte den Kopf. »Selbst wenn er huren wollte – es wusste noch jemand anderes, wo er um diese Zeit zu finden war, jemand, der einen Schlüssel zum Hain hatte. Außerdem
erklärt das immer noch nicht, wer sein Zimmer durchsucht hat und warum. Wonach immer dort gesucht wurde, es musste für den, der es so dringend finden wollte, von großem Wert sein – die Kammer war völlig verwüstet.«
    »Aber du sagtest, zumindest zwei Personen wären dahinter her – nämlich der Quästor und der Bursche, der dir zuvorgekommen ist.« Sidneys Brauen zogen sich zusammen. Er trank einen großen Schluck Bier. »Ich finde noch etwas anderes merkwürdig. Er wurde auf eine so feige, hinterhältige und obendrein äußerst unsichere Weise umgebracht. Wenn du einen Mann töten willst, warum rammst du ihm dann nicht einfach ein Schwert in den Leib, vor allem, wenn du weißt, wo du ihn allein und unbewaffnet antreffen kannst? Ein Hund ist unberechenbar.«
    »Du verstehst doch etwas von der Jagd.« Ich schnitt mir noch ein Stück Pastete ab. »Könnte man einen Hund wie diesen darauf dressieren, eine spezielle Person anzugreifen … einem bestimmten Geruch zu folgen?«
    Sidney überlegte.
    »Ich denke schon – wenn ein solches Tier dazu abgerichtet werden kann, dem Geruch eines Keilers oder eines Wolfes zu folgen, warum nicht auch dem eines Menschen? Vielleicht, wenn man ihm ein Kleidungsstück des Opfers gibt … die Iren haben diese Hunde in der Schlacht eingesetzt. Angeblich konnten sie sogar einen Ritter in voller Rüstung von seinem Pferd zerren. Und du sagst, man hätte ihn hungern lassen, was seine Instinkte noch geschärft haben dürfte.« Er stützte die Ellbogen auf den Tisch und barg sein Kinn in den Händen. »Mir kommt es vor, als wäre der Hund Teil eines Schauspiels, als

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