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Ketzer

Ketzer

Titel: Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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als ein Jagdausflug in so illustrer Gesellschaft. Da ich ohnehin in die Stadt wollte, beschloss ich, ihm zu folgen. Nach seinem eigenen Eingeständnis, nächtliche Streifzüge durch die Stadt zu unternehmen, sowie Lawrence Westons Anspielungen auf seine sexuellen Vorlieben hoffte ich beinahe, ihn bei einem verbotenen Stelldichein zu ertappen und somit Westons Theorie bestätigt zu sehen. Dieses Wissen könnte ich dann zu gegebener Zeit benutzen, um Sophia dazu zu bringen, sich ihn aus dem Kopf zu schlagen – wenn er denn wirklich das gleichgültig reagierende Objekt ihrer Zuneigung sein sollte.
    Ich ließ Norris ein wenig Vorsprung, damit er mich nicht bemerkte, dann winkte ich Cobbett durch das kleine Fenster zu, steckte den Kopf vorsichtig zum Tor hinaus in die St. Mildred’s Lane und sah Norris ein gutes Stück vor mir in flottem Tempo auf der Straße nordwärts in Richtung des Jesus College gehen. Ich musste fast kleine Sätze machen, um mit seinen weit ausgreifenden Schritten mithalten zu können, wobei ich mich nah an der Mauer des Exeter College hielt, immer darauf bedacht, gebührenden Abstand zu ihm zu halten, damit es so aussähe, als machte ich nur einen kleinen Spaziergang, falls er sich umdrehte und mich entdeckte.
    Nach dem tagelangen Regen war die Straße nach wie vor schlammig und mit Pfützen übersät, und Norris machte um sie fast jedes Mal angewidert einen Bogen und blieb einmal sogar
stehen, um mit einer gereizten Geste einen Schmutzspritzer von seinen teuren Lederstiefeln zu wischen. Als sich die St. Mildred’s Lane mit der Summer Lane kreuzte, bog er, ohne zu zögern, rechts ab; nach einer kurzen Pause folgte ich ihm, wobei ich mich so weit wie möglich im Schatten der links von mir wie eine Festung aufragenden Stadtmauer hielt. Die Straße war nahezu menschenleer, ich sah nur ein oder zwei Paare in ihrem Sonntagsstaat, die zweifellos auf dem Weg zu einer der zahlreichen Pfarrkirchen der Stadt waren. Irgendwo vor mir rief eine Glocke zum Gottesdienst.
    Mein Jagdobjekt setzte seinen Weg so unbeirrt fort, als habe er eine Verabredung einzuhalten, nichts deutete jedoch darauf hin, dass er ein ungewöhnliches Ziel ansteuerte oder es vorziehen würde, nicht gesehen zu werden – er blickte sich nicht verstohlen um und bewegte sich so leichtfüßig, als sei seine Tasche trotz ihrer Größe nicht sonderlich schwer. Nur mühsam konnte ich ein Erschauern beim Passieren der Mauern der Divinity School zu unserer Linken unterdrücken. Direkt davor, gegenüber der Einmündung einer Straße, deren Schild sie als Catte Street auswies, wandte er sich zu einem kleinen, in die Stadtmauer eingelassenen Tor neben einer kleinen Kapelle. Ich verbarg mich im Schatten der gegenüberliegenden Häuser und begann, mir in meiner Rolle als heimlicher Verfolger langsam ziemlich lächerlich vorzukommen.
    Vor der Stadtmauer erstreckte sich eine breite Straße. Die wenigen Häuser am Straßenrand waren niedrig, schäbig und von weitläufigen Feldern und Obstgärten umgeben. Der Boden wies tiefe Spuren von Karrenrädern und Pferdehufen auf. Ich beobachtete, wie Norris die Straße überquerte und rechts in Richtung der offenen Felder abbog. Dort war es für mich schwieriger, Deckung zu finden, also ließ ich mich zurückfallen, um einen größeren Abstand zwischen uns zu schaffen. Ich hielt mich weiterhin im Schatten der Stadtmauer, soweit es mir möglich war; wohl wissend, dass er mich trotzdem unweigerlich bemerken müsste, wenn es ihm einfallen sollte, sich umzudrehen.
Nach ungefähr zehn Minuten bog Norris erneut ab, diesmal nach links, und ging einen breiten, zu beiden Seiten von Feldern und Gärten gesäumten Weg hinunter. An dieser Stelle hätte ich beinahe kehrtgemacht, denn ich musste mich aus dem Schutz der Mauer lösen, aber meine Neugier gewann die Oberhand über die Furcht, entdeckt zu werden. Als einzig sichtbares Gemäuer dieses Weges ragte vor mir der gedrungene Turm einer kleinen Kirche auf, die sich, sobald ich näher kam, als sehr alt herausstellte. Norris ging um die Kirche herum, hinter der ein von einer hohen Mauer aus hellgoldenem Stein umgebenes beeindruckendes, dreistöckiges Herrenhaus mit Giebelfenstern im Dach lag, gebaut mit demselben Stein. Von der Ecke der kleinen Kirche aus verfolgte ich, wie Gabriel Norris auf ein Tor in der Mauer zutrat und er nach einem Augenblick eingelassen wurde. Leider konnte ich nicht erkennen, von wem.
    Mir blieb keine andere Wahl, als umzukehren und in die Stadt

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