Ketzer
mahnte mich, nie und nimmer dem Gesicht zu trauen, das irgendjemand mir respektive der Welt präsentierte. Was hatte William Bernard an meinem ersten Abend hier so treffend bemerkt? Kein Mann in Oxford war das, was er zu sein schien.
9
Um in meinem Kopf die sich überschlagenden Gedanken ein wenig zu ordnen, trat ich in den Hof hinaus, der jetzt von zaghaften Sonnenstrahlen erleuchtet wurde, den ersten, die ich seit meiner Abreise aus London zu Gesicht bekommen hatte. Noch immer zogen Wolken über den Himmel hinweg, aber der endlose Regen der letzten drei Tage hatte sich offensichtlich vorübergehend verabschiedet. Ein Blick auf die Uhr oberhalb des Bogengangs zur Kapelle und der Bibliothekstreppe verriet mir, dass es kurz nach halb acht war. Das Universitätsgelände kam mir gespenstisch ruhig vor.
Ich blieb stehen, um zu den Fenstern der Wohnung des Rektors emporzublicken, dabei fragte ich mich, welcher Raum wohl Sophias sein mochte und ob ich trotz des ausdrücklichen Verbots ihres Vaters einen Weg finden würde, sie heute wiederzusehen. Doch dann fluchte ich unterdrückt, weil mir wieder in den Sinn kam, dass ich Sidney so gut wie versprochen hatte, mit ihm und Palatin Laski im Shotover Forest auf die Jagd zu gehen. Ich beschloss, zum Christ Church College zu gehen und mich persönlich bei Sidney zu entschuldigen. Vermutlich würde er ärgerlich sein, was ich ihm nicht verdenken konnte – ihm graute es sicherlich davor, von der Morgen- bis zur Abenddämmerung an den Polen gekettet zu sein. Mich konnte man freilich beim besten Willen nicht als Bereicherung einer Jagdgesellschaft betrachten, selbst dann nicht, wenn ich nicht von der Suche nach einem Mörder abgelenkt werden würde. Ich hatte für diese Art
von Sport kein Talent und, im Gegensatz zu meinem Freund, in meiner Jugend auch keine Gelegenheit gehabt, mich darin zu üben. Sidney könnte dort im Forst die nötigen Nachforschungen über Jagdhunde anstellen, und ich würde hier im Ort einige andere wichtige Dinge in Angriff nehmen. Es galt, vor allem das Vertrauen von zwei Männern zu erringen: John Underhill und William Bernard. Beide verdächtigte ich, zumindest teilweise über das katholische Untergrundnetzwerk Bescheid zu wissen, das wiederum eventuell mit Roger Mercers Tod verknüpft war. Allerdings war ich mir darüber im Klaren, dass sie mögliche Kontakte zu diesem Netzwerk nicht so ohne Weiteres preisgeben würden.
Widerstrebend kehrte ich in meine Kammer zurück, wo ich mich gründlich mit kaltem Wasser wusch, denn die Universität Oxford schien über keine so zivilisierte Errungenschaft wie ein Badehaus zu verfügen. Außerdem musste ich bald noch Cobbett fragen, wo der Barbier zu finden wäre, und ich musste eine Wäscherin auftreiben, die sich meiner Hemden annähme, da es ganz so aussah, als wären wir dazu verdammt, noch mindestens drei Tage hier ausharren zu müssen. Als ich mich ankleidete, begann mein Magen laut zu knurren, ein Hungergefühl hatte mich bereits während meiner Morgentoilette beschlichen. Ich nahm Walsinghams Börse aus meiner Reisetasche und befestigte sie an meinem Gürtel – in der Stadt wollte ich sehen, ob ich in irgendeiner Schänke auch zu dieser frühen sonntäglichen Stunde irgendetwas Essbares bekommen könnte.
Der Hof lag noch immer verlassen da, als ich aus meinem Treppenhaus trat. Es herrschte eine unnatürliche Ruhe; die Studenten schienen sonntags für sich zu bleiben. Ich war gerade im Begriff, auf das Torhaus zuzusteuern, als sich Gabriel Norris aus dem Schatten seines Treppenhauses in der westlichen Gebäudekette löste. Er hatte sich eine große lederne Tasche über die Schulter geworfen. Instinktiv zog ich mich wieder ins Dunkel zurück, um nicht erneut in eine Diskussion über den möglichen Verlauf der gerichtlichen Untersuchung verstrickt zu werden.
Norris war von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet, aber selbst aus der Entfernung konnte ich erkennen, dass sein Wams und seine Hosen erstklassig geschnitten und aus kostbarem schwerem Satin gefertigt waren und er einen kurzen, schimmernden Samtumhang trug. Bevor er mit schnellen Schritten auf das Tor zuging, spähte er erst flüchtig über den Hofraum hinweg – wie es schien, ohne mich zu bemerken. Seine offenkundige Eile weckte mein Misstrauen. Mir fiel wieder ein, dass er Sidneys Einladung, ihn heute auf die Jagd zu begleiten, ausgeschlagen hatte, und ich fragte mich, was einem jungen, prahlerischen Gecken wie Norris wohl wichtiger sein könnte
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