Ketzer
den Kopf. Mir war nicht entgangen, dass seine Augen ebenso ungewöhnlich waren wie sein Gesicht; so durchscheinend hellblau, als würden sie von innen erleuchtet, genauso wie das Wasser in der Bucht von Neapel, wenn sich das Sonnenlicht darin fing.
Ich empfand sein Starren als überaus beunruhigend, deshalb senkte ich meinen Kopf noch tiefer, da ich es keinesfalls auf eine Konfrontation ankommen lassen wollte. Diese Schänke war eindeutig kein Ort, wo ein Fremder ungestört einen Schluck trinken konnte; seine Gegenwart zog eine stumme, aber nahezu greifbar bedrohliche Reaktion seitens der anderen Gäste nach sich. Als ich endlich wieder aufblickte, stand eine stämmige Frau von ungefähr vierzig Jahren mit verschränkten Armen vor mir. Ihre Schürze war mit Flecken übersät, sie hatte ihr ergrauendes,
strähniges Haar aus dem breiten Gesicht gestrichen, und ihre braunen Augen funkelten argwöhnisch.
»Was nehmt Ihr, Sir?«
»Einen Krug Ale.«
Sie nickte knapp, blieb jedoch noch bei mir stehen und musterte mich abschätzend.
»Ich habe Euch noch nie hier gesehen, Sir. Was führt Euch ins Catherine Wheel ?«
»Ich habe Hunger, und als ich Euer Schild sah, beschloss ich, hier einzukehren.«
Ihre Augen wurden noch schmaler.
»Ihr stammt nicht aus dieser Gegend, nicht wahr?«
»Ich bin in Italien geboren.« Ich hielt ihrem forschenden Blick so unbefangen stand, wie es mir möglich war.
Sie schürzte die Lippen und nickte abermals.
»Freund des Papstes?«
»Kein persönlicher«, gab ich zurück, und endlich wurden ihre Züge weicher, sie lächelte beinahe.
»Ihr versteht, was ich meine, Sir.«
»Hängt es von meiner Antwort ab, ob Ihr mir Bier bringt oder nicht?«
»Lege bloß darauf Wert, die richtigen Gäste im Haus zu haben, Sir!«
Ich blickte mich im Schankraum um. Eine weniger erlesene Gästeschar könnte man sich kaum vorstellen. Ich musste an die Gasthäuser am Straßenrand denken, in denen ich während meiner Flucht aus San Domenico genötigt war zu nächtigen.
»Ich bin im Schoß der Kirche von Rom aufgewachsen«, erklärte ich dann freiheraus. »Ob das eine Empfehlung ist, weiß ich nicht, aber ich versichere Euch, dass es sich nicht auf die Anzahl der Münzen in meinem Beutel auswirkt.«
Das schien sie zum Einlenken zu bewegen. Sie wandte sich zum Gehen.
»Wie lautet Euer Name?«, fragte sie plötzlich, als sei ihr das gerade noch rechtzeitig eingefallen.
»Filippo.« Ich registrierte erstaunt, wie leicht mir der Name über die Lippen kam – fast schon reflexartig. Vielleicht lag es an der Erinnerung an die Jahre als Flüchtling, während derer ich unter meinem Geburtsnamen gereist war, weil die Preisgabe meiner Klosteridentität fatale Folgen gehabt hätte. Hier, in dieser düsteren Schänke, wo ich misstrauischen Blicken und Gemunkel ausgesetzt war, riet mir derselbe Instinkt zur Vorsicht.
Die Wirtin wirkte nun zufrieden. Sie nickte und ging sogar so weit, einen Knicks anzudeuten.
»Joan Kenney, Witwe, zu Euren Diensten, Sir. Wollt Ihr auch etwas essen?«
»Was habt Ihr denn anzubieten?«
»Dicke Suppe«, kam es knapp zurück.
Ich hielt mich zu dieser Zeit schon lange genug in England auf, um zu wissen, dass es sich dabei um eine Pampe aus Hafermehl handelte, die mit dem Sud von gekochtem Fleisch vermischt worden war – ein Fraß, der meiner Meinung nach an das Vieh verfüttert werden müsste, für Engländer allerdings ein fester Bestandteil ihrer Mahlzeiten war.
»Kein Fleisch?«, vergewisserte ich mich ohne große Hoffnung. »Es ist Sonntag.«
»Wir haben Suppe, Sir. Nehmt die oder lasst es bleiben.«
Widerstrebend bestellte ich eine Portion.
»Humphrey!«, rief die Wirtin scharf. Eine Tür neben der Durchreiche wurde geöffnet, und ein junger Mann mit hellen Locken, der ein schmutziges Geschirrtuch in der Hand hielt, erschien. Obwohl er mindestens sechs Fuß groß und in den Zwanzigern war, sah er erst die Wirtin und anschließend mich mit dem eifrigen Blick eines Kindes an, das es den Erwachsenen recht machen wollte, woraus ich schloss, dass er vermutlich an einer leichten Geistesschwäche litt.
»Hol Master Nerlarno eine Schale mit dicker Suppe und einen Krug Ale, aber schnell, und denk erst gar nicht daran, ihn mit deinem dummen Geschwätz zu behelligen«, fauchte Mistress Kenney. Humphrey nickte heftig mit wild übertriebenen
Auf-und-ab-Bewegungen seines Kopfes und drehte das Tuch in seinen Händen. »Er ist ein Waliser«, fügte sie an meine Adresse gerichtet hinzu,
Weitere Kostenlose Bücher