KGI: Blutiges Spiel (German Edition)
freundlichen Bemerkung schier ausrastete, würde sie nie als einfache Touristin durchgehen.
»Ja. Ferien. Ich brauchte dringend einen Tapetenwechsel.«
Er nickte. »Kenne ich. Woher kommen Sie?«
Mit jeder Sekunde schien sie sich unwohler zu fühlen. Sie zwang sich zwar ein Lächeln auf die Lippen, aber es war so unnatürlich wie bei den Frauen, die bei diesen Schönheitswettbewerben mitmachten, die Donovan so gern im Fernsehen ansah.
»Ein bisschen von überall. Als Kind bin ich oft umgezogen.«
»Wirklich? Ich habe praktisch mein ganzes Leben am selben Ort gewohnt. Abgesehen von meiner Zeit bei den Marines.«
»Ach! Und wo ist das?«
Ihr Versuch, den Spieß umzudrehen, war ebenso offensichtlich wie ihre Erleichterung, seiner ursprünglichen Frage ausgewichen zu sein. Aber er spielte mit und gab den dummen Touristen.
»Tennessee. Eine Kleinstadt am Kentucky Lake. Meine ganze Familie wohnt da.«
Sie seufzte. »Das muss schön sein. Haben Sie eine große Familie?«
»Kann man so sagen. Meine Eltern und fünf Brüder. Ich bin der Zweitälteste. Dann noch zwei Schwägerinnen, von denen eine kurz vor der Entbindung steht. Nicht zu vergessen die jungen Mädchen, die meine Mutter regelmäßig adoptiert. Ihr jüngster Fund ist ein missmutiger Teenager. Mom will sie mit eisernem Willen auf den schmalen Pfad der Tugend führen. Meine Brüder und ich haben längst aufgegeben und unserer Mutter viel Glück gewünscht.«
Sarah lächelte. »Sind nicht alle Teenies missmutig?«
»Keine Ahnung. Wenn Sie mich fragen, sind die alle gestört.« Er sah sie von der Seite an. »Wie war das bei Ihnen?«
Sie grinste spitzbübisch. »Ich war mit sechzehn ganz bestimmt gestört.«
»Sehr witzig. Ich habe Ihre Familie gemeint.«
Sie wurde wieder ernster. »Ich bin in Pflegeheimen aufgewachsen.«
Ihm war gar nicht wohl in seiner Haut. Er hatte das bereits gewusst, und jetzt musste er sich dumm stellen. Die Frage nach Lattimer lag ihm auf der Zunge, und warum seine Schwester ohne all die Vorzüge aufwachsen musste, die er genossen hatte. Allerdings begnügte er sich mit einer nichtssagenden Erwiderung. »Muss ganz schön hart gewesen sein.«
»So schlimm war es gar nicht. Aber ich musste oft umziehen. Meistens war ich nur vorübergehend irgendwo untergebracht, bis längerfristige Lösungen gefunden wurden. Leider stellte sich dann alles nur als vorübergehend heraus.«
Mitfühlend verzog er den Mund. »Das ist schrecklich.«
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich bin ja nicht misshandelt worden. Ich hatte zu essen, Kleidung und ein Dach über dem Kopf. Viele Kinder hatten da weniger Glück. Ich verplempere bestimmt nicht mein ganzes Erwachsenenleben damit, über meine Kindheit zu jammern. Es gab auch schöne Zeiten.«
Er wusste nicht, was er noch sagen sollte. Ihre Einstellung gefiel ihm. Probleme waren da, um gelöst zu werden. Das kam für ihn gleich nach dem Motto seiner Familie: Leg dich nicht mit den Kellys an.
»Und wie lange wollen Sie hierbleiben?«
Sie runzelte die Stirn. »Weiß ich noch nicht. Wie es sich ergibt.«
»Aha, also ein längerer Urlaub. Dann müssen Sie es wirklich nötig haben. Viel Stress bei der Arbeit?«
»Eher eine Verschnaufpause. Ich denke darüber nach, mich beruflich zu verändern. Vielleicht irgendwas mit weniger … Stress, wie Sie es ausgedrückt haben.«
»Schon Ideen?«
Sie lächelte zaghaft. »Nein, nicht direkt. Vielleicht möchte ich als Lehrerin arbeiten. Irgendwas mit Kindern. Von Erwachsenen habe ich die Nase voll.«
»Du meine Güte, glauben Sie etwa, ein Job als Lehrerin wäre weniger stressig? Meine Mutter und meine Schwägerin waren früher an einer Schule. Ich habe bis heute nicht kapiert, wie die beiden das ohne irreparablen Dachschaden überstanden haben.«
»Lassen Sie mich raten: Vor Kindern haben Sie auch Angst.«
Er schaute sie grimmig an. »Angst nicht gerade, aber ich bin auf der Hut. Vielleicht machen sie mich auch ein bisschen nervös. Na gut, ich habe einen Heidenrespekt vor ihnen. Ich meine, das sind doch Terroristen, getarnt als süße kleine Engel.«
Sie lachte aus vollem Herzen, und es jagte ihm einen Schauder über den Rücken. Sie war verdammt hübsch, wenn sie lachte. Dann strahlte sie wie ein Christbaum, und ihre Augen sprühten Funken. Schade, dass Humor nicht zu seinen Stärken gehörte. Er hätte alles gegeben, sie öfter zum Lachen zu bringen.
»So schlimm sind sie auch wieder nicht. Sie brauchen bloß Aufmerksamkeit und Zuneigung. Wie jeder
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