KGI: Dunkle Stunde (German Edition)
Tortur von Neuem begonnen.
Obwohl sie sich nach Kräften mühte, Ruhe zu bewahren, zitterten ihre Hände wie Espenlaub. An das Lager durfte sie jetzt nicht denken. Bloß nicht. Sie schloss die Augen, um die Bilder zu verdrängen, denn plötzlich waren sie so real. Vielleicht hatte sie ihre Rettung nur geträumt. Eine Halluzination, hervorgerufen durch den Entzug und tagelanges Ausharren in diesem verhassten Gefängnis.
Ihre Hand ließ wie von selbst das Lenkrad los und bewegte sich zum Fenster. Luft. Sie brauchte Luft.
Der Pick-up schaukelte gefährlich, als die Scheibe nach unten glitt und frische Luft hereinließ.
»Rachel! Nein! Halt still!«
Sie musste raus. Sie wollte nicht sterben.
»Verflucht noch mal! Beeilt euch, und sichert endlich den Wagen!«, brüllte Sean.
Sie wimmerte leise vor sich hin. Ihr Hals war wie zugeschnürt, und sie glaubte zu ersticken. Leise und beruhigend redete Sean auf sie ein. Sie vernahm die Geräusche der Männer ringsum, die das Heck ihres Pick-ups sicherten, damit sie ihn zurückziehen konnten.
»Okay, Rachel, hör mir zu.«
Sie drehte den Kopf gerade so weit, dass sie ihn ansehen konnte. Er stand fast direkt neben dem Fahrzeug. So nah, dass sie sich berühren konnten. Aber weder er noch sie machten Anstalten in diese Richtung. Er war sichtlich angespannt und voll Sorge, aber seine Miene verriet auch wilde Entschlossenheit. Er würde sie nicht sterben lassen.
Die Panik legte sich ein wenig. Nein, Sean würde nicht zulassen, dass ihr etwas passierte. Sein fester Wille übertrug sich auf sie, mit beiden Händen hielt sie sich am Lenkrad fest. Sie hatte dieses Jahr in der Hölle doch nicht ertragen und überstanden, damit sie dann zu Hause von irgendeinem Arschloch von einer Brücke gestoßen wurde.
Sean war nur noch Zentimeter entfernt. Er beugte sich bis auf Augenhöhe zu ihr herunter.
»Wir ziehen den Pick-up nach hinten weg, okay? Du musst ruhig bleiben, damit wir unseren Job erledigen können. Wir bringen dich in Sicherheit. Dir wird nichts geschehen. Du musst mir vertrauen, Rachel.«
Sie nickte leicht als Zeichen, dass sie ihn gehört und verstanden hatte. Sie verspürte einen leichten Ruck von hinten und krallte sich fester ans Lenkrad. Ihr Puls beschleunigte sich schlagartig.
»Vorsicht!«, rief Sean seinen Kollegen zu, dann sprach er wieder zu Rachel. »Okay, Süße, schau mich an. Gleich ist es so weit.«
Sie nickte erneut und würgte die Panik hinunter. Sean war bei ihr. Ihr würde nichts passieren. Aber sie brauchte Ethan. Sie brauchte ihn an ihrer Seite.
»Ethan«, krächzte sie heiser.
»Er ist schon unterwegs, Rachel. Er muss jede Sekunde hier sein, okay? Versprochen.«
Die Karosserie ächzte und stöhnte, als würde sie gegen die rüde Behandlung protestieren. Der Wagen machten einen Ruck nach hinten, ihr Kopf schnellte nach vorne. Dann hörte sie ein metallenes Kreischen, und die Motorhaube schob sich langsam über den Rand der Brücke.
Danach folgten ein lautes Krachen und ein weiterer Knall. Die Motorhaube senkte sich. Sie schrie. Die Tür wurde aufgerissen. Sean löste den Gurt und zerrte sie vom Sitz.
Sie stürzten beide zu Boden, Rachel landete auf Sean. Sie warf einen Blick über die Schulter und sah den Pick-up in die Tiefe stürzen. Entsetzt hörte sie, wie das Fahrzeug aufschlug. Es klang wie eine Explosion. Wasser spritzte hoch und wurde ihnen ins Gesicht geweht.
»Verfluchte Scheiße«, murmelte Sean, der immer noch unter ihr lag.
Benommen starrte sie auf die leere Stelle, wo sich kurz zuvor noch Ethans Pick-up befunden hatte. Sie begriff nicht, was geschehen war. Überall waren Menschen. Feuerwehr, Sanitäter, Polizisten. Der ganze Bereich war abgeriegelt. Einsatzhelfer liefen zu der Unfallstelle und blickten fassungslos erst nach unten, dann zu ihr herüber.
Sie begann zu zittern. Vergeblich versuchte sie, ihren Körper unter Kontrolle zu bringen. Jeder Muskel spielte verrückt. Es war schlimmer als bei den Entzugserscheinungen.
Sean setzte sich auf und schlang die Arme um sie.
»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte er.
Sie brachte keine Antwort heraus. Ihre Zähne klapperten, dass es schmerzte. Sie hob eine Hand zum Mund, doch auch die zitterte heftig. Entgeistert starrte sie auf die Lücke im Geländer.
»Oh mein Gott«, sagte sie schließlich. »Ethans Pick-up.«
»Vergiss den Pick-up. Ethan wird heilfroh sein, dass du noch lebst, sonst nichts.«
»Rachel!«
Sie drehte sich in die Richtung, aus der sie Ethans Stimme gehört
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