KGI: Dunkle Stunde (German Edition)
blieb er stehen und drückte aufmunternd ihre Finger. »Und denk dran: Sie lieben dich.«
Sie lächelte tapfer, während er die Tür aufschloss.
Aus der Diele schlug ihnen kühle Luft entgegen. Aus dem Wohnzimmer drangen gedämpfte Stimmen und als Hintergrundgeräusch der Fernseher.
Sosehr ihm der Gedanke gefiel, Rachel zu seiner Familie zu bringen, so war ihm doch auch klar, dass es eigentlich Ethans Aufgabe war. Sein Bruder würde ihm das schwer übel nehmen. Allerdings hatte Rachel nicht Ethan, sondern ihn so flehentlich angeschaut. Garrett hatte ihr noch nie einen Wunsch abschlagen können, eine Schwäche, die er mit Ethan teilte.
Im Esszimmer blieb er kurz vor den Stufen, die zum Wohnzimmer hinabführten, so abrupt stehen, dass Rachel in ihn hineinlief. Er spürte, wie sie zitterte. Noch einmal drückte er ihre Hand und achtete darauf, dass sie genau hinter ihm blieb, als er weiterging. An der ersten Stufe blieb er erneut stehen und räusperte sich leise.
Die Augen aller drehten sich in seine Richtung. Ethan reagierte als Erster. Er sprang auf. Seine Miene hatte sich schlagartig verfinstert. Ihre Mutter zog kurz eine Braue hoch und runzelte dann die Stirn. Den Blick kannte Garrett. Gleich würden Vorwürfe auf ihn niederprasseln. Beinahe hätte er gegrinst. Diese Frau schaffte es nach wie vor mit einem Blick, dass er sich wie ein Fünfjähriger vorkam.
Nur mäßig interessiert schauten Nathan und Joe hoch. Sam zog die Stirn in Falten, und Donovan sah ihn einfach nur an. Aber so war Donovan – gelassen, unvoreingenommen.
»Du solltest doch bei Rachel bleiben«, brüllte Ethan los. »Verdammte Scheiße.«
»Ethan«, wies ihn seine Mutter zurecht. »Was sind denn das für Ausdrücke!«
Um mit heiler Haut davonzukommen, zog Garrett Rachel vor sich. Sie war steif wie ein Brett, ihre Augen flogen wild hin und her.
Nun brach das Chaos aus. Garrett hob eine Hand, um das Ganze zu beruhigen, ehe Rachel fluchtartig das Weite suchen würde.
»Ruhe!«, brüllte er.
Den Blick fest auf Rachel gerichtet ging Ethan zu ihr. Wie sehr er sich um sie sorgte, war daran zu erkennen, dass er Garrett keine Prügel androhte. Er schaute ihn nicht einmal an.
»Rachel, Kleines«, sagte Ethan leise. »Alles in Ordnung mit dir? Entschuldige, dass ich nicht da war, als du aufgewacht bist. Ich hätte nicht wegfahren dürfen.«
Nach Ethan standen nun auch Nathan und Joe auf und starrten Rachel an. Ungläubiges Staunen machte sich auf ihren Gesichtern breit, was Garrett nicht weiter verwunderte. Bis er Rachel mit eigenen Augen gesehen hatte, hatte auch er nicht geglaubt, dass sie noch lebte. So etwas gab es nur im Kino. Sie war gestorben – hatten jedenfalls alle gedacht – , und jetzt stand sie wieder vor ihnen.
Seine Mom hatte sich beide Hände vor den Mund geschlagen und weinte hemmungslos. Selbst sein guter alter Dad, den so leicht nichts umwarf, war blass geworden und wirkte erschüttert.
Wie üblich, wenn die ganze Familie zusammensaß, hielt Rusty sich ein wenig abseits. Gleichgültig verfolgte sie das Durcheinander. Für einen Moment blieb ihr Blick an Rachel hängen. Sie kniff kurz die Augen zusammen, dann schaute sie rasch wieder weg. Garrett runzelte die Stirn. Das Letzte, was Rachel jetzt brauchen konnte, war Ablehnung, erst recht nicht von jemandem, der nicht zu ihnen gehörte. Als Rusty Garrett ansah, erwiderte dieser so vorwurfsvoll ihren Blick, dass sie blass wurde und schnell auf ihre Hände hinunterstarrte.
»Ich wollte zu euch kommen«, sagte Rachel mit leiser, unsicherer Stimme. »Ich habe Garrett gebeten, mich herzufahren. Sei ihm nicht böse.«
Ethan streichelte ihre Wange. »Ich bin ihm nicht böse. Nur besorgt. Deinetwegen.«
Sie lächelte ihn zaghaft an. Garrett zog sich langsam von den beiden zurück und warf seinen Eltern warnende Blicke zu. Seine Mom sah ihrerseits giftig zurück, als wollte sie sagen, sie sei doch nicht blöd.
Rachel schaute um Ethan herum und musterte einen nach dem anderen. Donovan und Sam erkannte sie natürlich wieder. Das ältere Paar waren offenkundig Ethans Mom und Dad, dann waren die beiden anderen Männer zwangsläufig Nathan und Joe. Etwas abseits saß ein junges Mädchen. Rachel durchforstete ihr Gedächtnis, ob abgesehen von der Mutter je ein weibliches Mitglied der Kelly-Familie erwähnt worden war. Fehlanzeige.
Vor Enttäuschung füllten sich ihre Augen mit Tränen, weil sie niemanden von ihnen erkannte. Aber sie biss sich auf die Unterlippe, um nicht wieder zu
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