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Kielwasser

Kielwasser

Titel: Kielwasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Pelte
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nur schlecht vorzubereiten. In der Handbibliothek der Polizeiinspektion entdeckte er eine Informationsbroschüre der Marine, die wohl für junge Männer und Frauen gedacht war, die Arbeit suchten oder eine Karriere als Soldat anstrebten. Hier entdeckte er eine Auflistung der verschiedenen Laufbahngruppen, deren Dienstgrade und Dienstgradabzeichen, in die er sich lange vertiefte. Zum Schluss konnte er unterscheiden zwischen Mannschaften, Unteroffizieren ohne Portepee, Unteroffizieren mit Portepee, und Offizieren. Dabei fiel ihm auf, dass für die Offiziere zwölf Dienstgrade zu vergeben waren – die vier Admiralsränge eingeschlossen –, für die anderen Laufbahnen aber nur wenige, für die Portepeeunteroffiziere beispielsweise nur fünf, für andere noch weniger.
    Außerdem sah er sich die Schiffe, Boote, Flugzeuge und Hubschrauber der Marine im Internet an. Er hatte bisher nicht gewusst, dass es so viele davon gab. Er hatte im Kieler Hafen – Flensburg war schon lange kein Marinestützpunkt mehr – niemals mehr als ein, zwei größere Kriegsschiffe neben ein paar kleinen, eher unbedeutenden Hilfsschiffchen zusammen auf einem Haufen gesehen. Jetzt wusste er, dass es eine erkleckliche Anzahl großer und kleinerer Einheiten gab. Sie mussten sich wohl auf die Häfen an der Nordsee und den neuen Bundesländern verteilen. Und einige lagen auch sicherlich in der Reparaturwerft oder waren auf den Meeren unterwegs, zum Beispiel im Arabischen Meer, wie er ja selbst seit Kurzem wusste.
    Am Vormittag des darauffolgenden Tages rief ihn Svenja im Dienst an und teilte ihm beiläufig mit, ein dicker Einschreibebrief vom Kreiswehrersatzamt Schleswig sei für ihn in der Post. Es handele sich wohl um seinen Einberufungsbescheid.
    Jung erklomm die Teppichetage, informierte den Leitenden vom Eintreffen seiner Einberufung und bat um Dienstbefreiung, um seine persönlichen Sachen zu regeln. Sie wurde ihm natürlich gewährt und Holtgreve vergaß nicht, ihn nochmals an die günstige Beeinflussung seiner Karriere zu erinnern, die mit der Wahrnehmung dieser einmaligen Chance verbunden sei. So drückte er sich aus und ahnte doch nicht, wie recht er damit hatte.
    »Ich weiß nicht, wann genau Sie sich der Aufgabe stellen müssen, Jung. Ich bin ab übermorgen im Urlaub. Falls wir uns nicht mehr sehen sollten, wünsche ich Ihnen jetzt schon alles Gute und viel Erfolg«, verabschiedete sich Holtgreve leutselig von ihm.
    »Danke. Dulce et decorum est pro patria mori 9 «, erwiderte Jung schmunzelnd.
    »Ja, da haben Sie ausnahmsweise recht«, bemerkte daraufhin der Leitende. Er hatte nichts verstanden. Die Ironie des Zitats war ihm völlig verborgen geblieben. Üblicherweise hätte er Jung aufgefordert, Klartext zu reden. Jetzt sah er sich gezwungen, ihn nicht zu verärgern, ihn auf den letzten Metern auf der Spur zu halten, damit er es sich nicht anders überlegte. Denn der Leitende war über Rechtsgrundsätze, Regeln und Formalitäten bestens informiert und wusste mit Sicherheit, dass erst Jungs schriftliche Einverständniserklärung die Einberufung besiegeln würde. Bis dahin musste Holtgreve für gutes Wetter sorgen und seine üblichen Grobheiten unterdrücken. Jung musste seinem Chef zubilligen, dass ihm das gut gelang.
    Nachdem sie sich zum Abschied die Hand gegeben hatten, verließ Jung die Teppichetage, packte seine Siebensachen zusammen und schloss sein Büro ab. Die Wachstube war leer. Petersen war nicht zu sehen. Jung hätte zu gern erfahren, ob schon gerüchteweise zu ihm gedrungen war, was den Kriminalrat in der nächsten Zeit außer Haus führen würde. Jung hätte sich auch gern von ihm verabschiedet.
    Der Herbst war fortgeschritten. Der Regen und die steifen Westwinde der letzten Tage hatten das Blattwerk an den Bäumen dezimiert. Als Jung die Husumer Straße entlang nach Hause fuhr, wehten Ahornblätter gegen die Windschutzscheibe und blieben an den Scheibenwischern hängen.
     
    *
     
    Zu Hause stellte er das Auto im Carport ab. Den Sommer über hatten sie ihre Autos im Freien geparkt, um die an den Balken des Carports nistenden Schwalben nicht zu stören. Denn die Katzen benutzten die Autodächer gern als Sprungbrett, um an die Nester zu gelangen. Auch wollte sich Familie Jung die Autos nicht von der regen Verdauungstätigkeit der kleinen Kunstsegler vollkleckern lassen. Jetzt waren die Schwalben längst auf ihrem Flug gen Süden und Jung würde ihnen bald nachfolgen. Ihm fiel ein, seine Frau darum zu bitten, in der Zeit

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