Kielwasser
öffnete, wünschte einen guten Tag und überreichte seinen Einberufungsbescheid.
»Moin. Da sind Sie ja. Wir warten schon ’ne Weile«, begrüßte ihn der PersO. Er sah aus wie der zu klein geratene Bruder von Hans Albers. Jung hätte ihn eher auf einer Hamburger-Hafen-Barkasse vermutet als im Stab der Marineführung. Seine Hände waren groß wie Suppenteller, und die hornigen Schwielen drückten sich Jung ins Fleisch, als er ihm seine Hand zu einem schmerzhaften Händedruck reichte.
»Sie müssen ja ’n mächtig wichtiger Mann sein«, fuhr der PersO mit fragendem Unterton in der Stimme fort.
»Wieso denn das?« Jung schaute ihn verdutzt an.
»Wenn ich mir Ihr Programm für die nächsten drei Tage ansehe, mein lieber Herr Gesangsverein. Andere schippern dafür zwei Wochen durch die Marine.«
»Liegt nicht an mir. Ich bin eher langsam und langweilig.«
Der PersO musterte Jung eingehend. Dann sagte er sinnend: »Humor, was? Wer’n Se da brauchen, wo Se hinkommen.« Er lachte. Jung hörte aus dem Lachen eine Mischung aus Süffisanz, Anteilnahme und Mitleid heraus. Seine Beunruhigung wuchs.
»Aber nun mal Butter bei die Fische«, wurde der PersO wieder ernst. »Sie sollen sich sofort beim Chef melden, den Gang wieder nach vorn, gleich die erste Tür an Backbordseite: A 1, Kapitän zur See Goll. In der Zwischenzeit bereite ich schon mal den Papierkram vor. Sie kriegen von mir Ihren Truppenausweis – dafür brauche ich noch Passbildchen von Ihnen, haben Sie ja sicherlich gelesen –, Ihre Kommandierung, Konferenzbescheinigung, Bekleidungsnachweis und den NATO-Marschbefehl. Außerdem müssen Sie mir noch den PEBA ausfüllen.«
»Passbilder hab ich mit.« Jung überreichte ihm die Bilder, die er in der Innentasche seiner Jacke schon parat hatte. Ansonsten hörte er einfach weg. Er kannte die überfallartige Anhäufung unbekannter Vokabeln aus der Vergangenheit und ließ die erneute Welle an sich vorbeischwappen.
Der A 1 entpuppte sich als ein großer, schlanker Bilderbuchoffizier, wie ihn Hollywood für die Rolle des älteren, gut erhaltenen Seeoffiziers gecastet haben könnte. Dessen bewegte, gefährliche Vergangenheit hatte markante Züge und eine deutliche Narbe in sein vom Wetter gegerbtes Gesicht gegraben. Für frühe Witwen und unheilbare Romantikerinnen war er sicherlich unwiderstehlich. Als er sich zur Begrüßung erhob und hinter seinem Schreibtisch hervortrat, stand er kerzengerade vor Jung und lächelte ihn an. Der akkurate Knoten seines Binders saß wie gemalt, exakt in der Mitte eines fleckenlos weißen, gestärkten Hemdkragens. Die dunkelblaue Uniform war bis auf eine goldene Schwinge auf der linken Brust gänzlich schmucklos. Vier goldene Litzen waren an den Ärmeln seines Jacketts aufgenäht. Sie legten sich wie Kolbenringe um seine Unterarme. Die Uniform passte ihm, als wäre er in ihr geboren worden und als würde er sie auch an seinem Todestag noch tragen: sauber, glatt, fleckenlos und mit scharfer Bügelfalte.
Jung war mit dem Goldglanz und der tadellosen Uniform von früheren Anlässen her vertraut und nur noch mäßig beeindruckt. Fast hätte er darüber gelacht, wie sehr die Wirklichkeit dem verbreiteten Klischee eines deutschen Marineoffiziers entsprach.
Er lächelte höflich zurück und wünschte einen guten Morgen. Der Offizier machte eine knappe Geste mit der rechten Hand in Richtung Zimmerecke schräg hinter Jung. Erst jetzt bemerkte Jung die Anwesenheit eines weiteren Marinemannes, der an einem Kaffeeautomaten hantierte.
»Darf ich Ihnen Oberstabsbootsmann Schumann vorstellen? Er wird Ihnen während Ihrer Wehrübung zur Verfügung stehen und Sie in allem unterstützen, was Sie für Ihre Mission brauchen.«
Jung sah die beiden an und verstummte für kurze Zeit, bevor er auf den Bootsmann zuging und auch ihn begrüßte.
Schumann war groß, mindestens so groß wie sein Chef, der A 1, aber fleischiger und massiger, nicht dick. Seine Uniform war weiter geschnitten und lässiger, kurz vor der Schlampigkeit. Auch wies sie lange nicht so viel Gold auf, wenngleich die Anzahl von goldenen Winkeln und Rauten auf seinem Ärmel beachtlich war. Er wirkte gemütlich. Seine zwei Gesichtshälften waren auffallend unterschiedlich. Das rechte Auge war weit geöffnet und aufmerksam auf sein Gegenüber gerichtet. Das linke aber, etwas herabhängend, blinzelte aus einem fast geschlossenen Lid hervor. Zusammen mit einem freundlichen, leicht grinsenden Zug um den Mund entstand augenblicklich der
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