Kielwasser
Augen eher einem weiblichen Teenager zugeordnet hätte. »Der IO hat Sie mir ausdrücklich ans Herz gelegt.«
»Ich liege aber lieber auf ihrem Untersuchungstisch.«
»Klar doch. Zeigen Sie mal her.«
Jung zog seine Schuhe und Socken aus und entblößte die rechte Wade. In den nächsten 20 Minuten wäre er liebend gern an die Decke gefahren und hätte vor Schmerz das ganze Schiff zusammengeschrien. An eine Unterhaltung war nicht zu denken. Als der Maat schließlich seine Hände von ihm ließ, war Jung schweißgebadet. Er entspannte sich aber rasch und war erleichtert. Dann wagte er, in Socken und Schuhen, die ersten Schritte. Jung hätte seinen Masseur küssen können. Seine Wade fühlte sich geschmeidig und belastbar an, ein Gefühl, das seinen ganzen Körper erfasste.
»Danke. Fühlt sich großartig an.«
»Gern, Herr Oberleutnant. Immer schön bewegen, nicht aufs Sofa legen. Das mag der Muskel nicht.«
»Ich sitze viel. Was mach ich nun?«
»Sie können im Kraftraum, in der Vorpiek, an den Geräten trainieren. Ich bin auch oft da.«
»Wie der KaFü, nicht wahr?«
»Der war oft da. Guter Mann. Schade um ihn.«
»Schade? Was ist mit ihm?«
»Er ist verschollen. Niemand weiß was Genaues.«
»Wie kann denn das passieren?«
»Wenn ich das wüsste. Aber sein Vertreter ist ja auch nicht schlecht, nur zu teuer.«
»Sein Vertreter? Wer ist das?«, wollte Jung wissen.
»Sein Gehilfe. Sie arbeiteten schon lange zusammen. Er ist nur Obergefreiter, hat aber schon alle Tricks drauf, die man da so braucht.«
»Tricks? Welche Tricks?«
»Na ja, die müssen eben gut im Organisieren von Sachen sein, die das Bordleben versüßen. Und nicht zu teuer, sonst geht Hein Seemann zu schnell die Kohle aus und er kriegt Ärger mit Zuhause.«
Jung schwieg nachdenklich.
»Sie sind Reservist, Herr Oberleutnant, nicht wahr?«, nahm der Maat das Gespräch wieder auf.
»Sieht man mir das an der Nasenspitze an?«
»Nicht an der Nase, aber sonst. Sie sind kein gelernter Offizier. Der wüsste das.«
»Danke für den Hinweis. Ich werde mich bemühen, bald alles zu wissen, glauben Sie mir.«
»Klar doch. Ich sehe Sie morgen wieder, um die gleiche Zeit, okay?«
»Okay, ich werde pünktlich …«
»Aah Tika, aah Tika, aah die Kantine hat geöffnet.« Sie wurden von dem lauten Ruf aus der Bordsprechanlage unterbrochen. Jung wendete sich noch einmal dem Maaten zu: »Das passt gut. Wo finde ich denn die Kantine?«
»Den Gang runter nach vorn, bis es nicht mehr weitergeht. Rechts können Sie die Kantine gar nicht übersehen. Außerdem stehen jetzt jede Menge Kameraden davor. Später ist es besser.«
»Wie lange ist die Kantine geöffnet?«
»Eine halbe Stunde. Heute Nachmittag, nach Rein Schiff, noch einmal.«
»Also bis morgen.«
Jung lief in Richtung Vorschiff. Auf Höhe des Leitstandes quakte es aus der Bordsprechanlage: »Oberleutnant Jung zum IO auf die Kammer.«
Jung fand den Weg jetzt ohne Hilfe. Er schloss die Tür hinter sich und setzte sich zum IO an den Tisch.
»Wir sind vorhin unterbrochen worden. Übrigens, war der Maat erfolgreich?«, begann der IO.
»Ja, sehr gut. Ich fühle mich rundum besser.«
»Na prima. Also, wo waren wir stehen geblieben?«
»Hatte Ihr Mann Überlebenschancen, wenn er von Bord gesprungen sein sollte, zum Beispiel durch ein fremdes Boot, das ihn aufnahm?«, erinnerte ihn Jung.
»Richtig. Nein, das ist ganz und gar auszuschließen. Jedes Gefährt im Umkreis von zig Meilen wird von uns aufgefasst, dazu sind wir hier. Und an dem besagten Tag war kein fremdes Objekt in unserer Nähe.«
Jung überlegte kurz: »Kann Oberstabsbootsmann Schumann zu uns stoßen? Ich hätte ihn gern dabei. Er kann mir helfen, die Details zu verstehen, deren Bedeutung mir nicht gleich klar ist.«
»Nichts dagegen. Ich lass ihn ausrufen.« Der IO informierte die Brücke und gab einen entsprechenden Befehl. Dann fuhr er fort: »Zu der Zeit hatten wir dazu noch einen besonderen Auftrag, der die gesamte Taskforce vor Al Mukalla konzentrierte. Da hätten wir sogar einen Haifisch gefunden, wenn einer da gewesen wäre.«
»Gibt es hier Haifische?«
»Im offenen Gewässer des Golfs von Aden nicht. Jedenfalls haben wir noch keine gesehen. Aber um die Korallenbänke im Golf von Tadjoura, Bab el-Mandeb und im südlichen Roten Meer gibt es sie, ja.«
Es klopfte an die Kammertür. Schumann betrat den Raum. »Melde mich wie befohlen in die Kammer.«
»Setzen Sie sich zu uns, Oberstaber. Herr Jung will Sie dabeihaben. Es
Weitere Kostenlose Bücher