Kielwasser
»Aus der Kammer.«
Jung war irritiert. Es passte irgendwie nicht. Er rätselte auch, warum Schumanns Kameraden nicht ohne ihn anfingen? War nicht eher zu erwarten, dass er, als Gast auf ihrem Schiff, nicht ohne sie anfing? Er befragte den IO.
»Ihr Begleiter hat einen höchst seltenen Dienstgrad in seiner Laufbahngruppe. Er ist da eine Art Generalfeldmarschall. Entsprechend wird ihm Respekt gezollt. Er ist automatisch Messeältester und gibt den Ton an. Verstanden?«
»Das wusste ich nicht.«
»Jetzt wissen Sie es. Gehen wir essen. Heute ist Salattag. Gibt nur gesundes Zeug, von wegen Vermeidung von Hüftgold. Aber damit haben Sie ja keine Probleme, wie ich sehe.«
Hüftgold, welch hübscher Ausdruck für Fettpolster, dachte Jung und ging mit dem IO die paar Schritte in die O-Messe. Vor der Tür zur Messe stand ein Obergefreiter mit einer Offiziersmütze in der Hand.
»Ihre Mütze, Herr Oberleutnant. Der Decksmeister hat sie sichergestellt.«
Jung hatte die Mütze völlig vergessen. Er fühlte sich überrumpelt und erwiderte kurz: »Danke.«
Er hatte Hunger.
Das Schiff II
Nach dem Mittagessen war es still im Schiff geworden. Jung hatte keine Lust, sich zur Ruhe zu begeben, nicht nur, weil er an die Ermahnung des Sanitäts-Maaten dachte. Ihm fehlten die frische Luft, der Himmel und die ungestörte Aussicht auf einen entfernten Horizont. Wie gelangte er überhaupt an Oberdeck?
Er versuchte sich daran zu erinnern, auf welchem Weg er gestern Nacht ins Schiffsinnere gekommen war. Er stieg erst einmal den Treppenschacht ins nächsthöhere Deck hinauf und öffnete das Schiebeschott zum OTC-Briefing-Raum. Dass nur zwei Soldaten anwesend waren, ließ den bisher stets überfüllten Raum öde erscheinen. Sein Blick fiel auf einen weiblichen Offizier. Sie war sehr klein und zierlich und hatte japanische Züge. Das verblüffte Jung zusätzlich.
»Can I help you?«, wandte sie sich an ihn.
»Thank you. Where is the way out, please?«
Sie lachte herzlich und sah ihn freundlich an. Dann erklärte sie ihm den kurzen Weg an Oberdeck.
»Thanks a lot, Ma’m«, bedankte sich Jung.
»You are welcome. Next time you need a way out, please contact your priest.« Sie lachte Jung noch einmal amüsiert an.
Keine schlechte Idee, sagte er sich.
Als er das Außenschott der Schleuse nach draußen öffnete, schlug ihm brütende Hitze entgegen. Fast blieb ihm der Atem stehen. Das Deck und die stählernen Aufbauten schienen unter der gleißenden Sonne zu schmelzen. Seine Augen schmerzten in der ungewohnten Helligkeit. Er kniff sie zusammen und sah sich auf der Suche nach Schatten um. Er fand ihn unter der in ihren Davids hängenden Barkasse und atmete tief durch.
Ein leichter Windhauch brachte etwas Kühlung. Das Schiff glitt mit geringster Fahrt durchs Wasser. Es schien fast stillzustehen. Ab und zu hörte Jung ein spielerisches Plätschern von der Wasseroberfläche her. Die riesige Radarantenne auf dem hinteren Aufbau drehte sich gleichmäßig und in geheimnisvoller Lautlosigkeit. Die im Mast gesetzten Stander und Wimpel schlappten träge in ihren Leinen. Einzig das Brausen aus den großen Lüftereinlässen störte die ansonsten vollkommene Ruhe. Das Meer glitzerte unter einem wolkenlos-fahlen Himmel wie flüssiges Silber. Eine scharf gegen den Himmel abgesetzte Dunstschicht lag über dem Horizont und verbarg eine klare Kimm. Weit und breit war kein Lebewesen zu sehen.
Jung begann in seinem Kaki-Zeug zu schwitzen. Dennoch genoss er das Meeres-Panorama. Er war allein an Oberdeck, soweit er das überblicken konnte. Langsam schlenderte er das Deck entlang nach achtern. Als es nicht mehr weiterging, sah er achteraus unter sich das Flugdeck, auf dem ein Jogger seine einsamen Runden drehte.
Er war mittelgroß, nicht auffällig muskulös, aber drahtig und durchtrainiert. Außer Sportschuhen trug er nur eine knappe Laufhose. Seine Haut war tief gebräunt und schweißnass. Auf seinem Gesicht las Jung die Anstrengung, aber auch den unbedingten Willen ab, das zu tun, was er tat, und die Überzeugung von der Richtigkeit dessen, was er sich abverlangte. Jung beobachtete ihn fasziniert.
Es dauerte nicht lange, dann beendete der einsame Jogger sein Training und stieg eine Stahlleiter vom Flugdeck zu Jung hinauf. »Ein neues Gesicht. Sie müssen Herr Jung sein, nicht wahr?«, ergriff der Mann, noch etwas kurzatmig, als Erster das Wort. »Ich bin der Kommandant. Bis jetzt hatte ich noch keine Gelegenheit, Sie zu begrüßen. Ich hole das
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