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Kielwasser

Kielwasser

Titel: Kielwasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Pelte
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hiermit nach. Herzlich willkommen an Bord.«
    Er reichte Jung die Hand. Sie war feucht von seinem Schweiß. Entgegen seiner Gewohnheit stieß Jung das nicht ab. Er stellte sich vor und drückte dem Kommandanten seine Bewunderung aus.
    »Ich brauche das, sonst versauere ich an Bord. Das Laufen gibt mir ein gutes Gefühl. Wollen Sie nicht mitmachen?«
    »Ich habe eine kaputte Wade. Der San-Maat ist schon dran und bewirkt Wunder. Es wird wohl noch einige Zeit dauern, bevor ich daran denken kann.«
    »Melden Sie sich, wenn es soweit ist. Wie geht es sonst? Der IO hat mit Ihnen gesprochen. Er berichtete mir heute früh davon.«
    »Ich bin dabei, mir einen ersten Eindruck zu verschaffen. Er ist mir eine große Hilfe.«
    »Ist ein guter Mann und sehr rührig, das stimmt. Was halten Sie von der Sache?«
    »Es ist noch zu früh, etwas Brauchbares zu sagen. Ich muss den Vermissten erst richtig kennenlernen. Ich muss ihm nahe kommen, wenn Sie so wollen. Man muss auch mit der Möglichkeit rechnen, dass der Kollege vor mir recht hatte.« Jung maß die glitzernde See, auf der sich das Schiff wie auf einem endlosen Silbertablett bewegte.
    »Ich war über ein Jahr lang sein Kommandant, habe ihn aber nicht wirklich kennengelernt. Er war gut, ohne Zweifel, aber er war etwas unnahbar. Er ließ sich nicht gern in die Karten gucken, so würde ich das ausdrücken. Ich hatte das zu respektieren. Im Übrigen ist der IO sein Disziplinarvorgesetzter. Er führte den Mann. Und da kam es nie zu Klagen.«
    »Gibt es eigentlich eine Personalakte von ihm? Die würde mich interessieren.«
    »Es gibt sie. Sie liegt beim Kommandeur MLBE. Sie können sie einsehen.«
    »Fregattenkapitän Jungmann, nicht wahr?«
    »Sie kennen ihn?«
    »Flüchtig, er half mir schon bei anderer Gelegenheit.« Jung wollte nichts weiter preisgeben und in ein Gespräch verwickelt werden, in dem er unweigerlich sein Doppelinteresse hätte aufdecken müssen.
    »Der IO erwartet uns. Wir wollen weitermachen. Sie entschuldigen mich?«
    »Sicher, wir sprechen uns später noch. Viel Erfolg.«
    Der Kommandant trabte nach vorn an die Schleuse und hielt Jung das Schott auf. Die Kälte im Inneren war ebenso unvermittelt zu spüren, wie die Hitze draußen. Jung fröstelte sofort.
    Im Treppenschacht stieg der Kommandant nach oben in den Turm, Jung nach unten ins H-Deck. Allmählich kannte er sich aus. Seine Kammer fand er ohne Probleme. Sie war leer. Von seinem Kammergenossen war immer noch nichts zu sehen. Er war nicht traurig darüber, legte sich auf seine Koje und wartete auf die Durchsage aus der Bordsprechanlage, die ihn in die Kammer des IO befehlen sollte. Er vertrieb sich die Zeit mit einem Buch: ›Normalerweise würden wir sagen, dass Sisyphos’ Aufgabe schwierig und unangenehm ist. Es geschieht aber nichts als das Hinaufrollen des Steins und das Betrachten des Hinunterrollens, Augenblick für Augenblick. Wie Sisyphos tun wir einfach in jedem Moment das, was wir tun. Doch wir fügen unserem Tun Urteile, Vorstellungen hinzu. Die Hölle liegt nicht im Hinaufrollen des Steins, sondern im Nachdenken darüber, im Bilden der Vorstellungen von Hoffnungen und Enttäuschungen, in der Frage, ob wir den Stein endlich für immer nach oben schaffen können.‹
    Jung verstand nicht gleich, was er gelesen hatte. Nur der Begriff ›Hölle des Nachdenkens‹ berührte ihn zutiefst. Er legte das Buch aus der Hand und schloss die Augen.
    Die Bordsprechanlage ließ ihn aufschrecken.
    »Oberleutnant Jung und Oberstabsbootsmann Schumann zum IO auf die Kammer.«
    Jung kletterte mühsam aus der Koje. Er strich sich mit der Hand durchs Haar, rückte seine Kaki-Hose zurecht und trat auf den Gang. Schumi war schon da, als Jung an die offen stehende Kammertür klopfte. Nachdem der IO die Tür geschlossen hatte, setzten sie sich an den Tisch.
    »Eigentlich ist von meiner Seite schon alles gesagt, was den KaFü anbelangt«, eröffnete der IO die Gesprächsrunde. »Haben Sie noch Fragen?«
    »Sie sagten ja, Sie haben das Schiff nach dem Mann durchsuchen lassen. Wie muss ich mir das vorstellen?«, reagierte Jung als Erster.
    »Ich habe die ganze Besatzung, die stehende Wache ausgenommen, das Schiff durchsuchen lassen. Wir haben alles umgekrempelt, Abteilung für Abteilung. Kein Stein ist auf dem anderen geblieben, jeder Tampen aufgenommen worden, das können Sie mir glauben.«
    »Ihr Schiff ist groß und ziemlich verbaut, wenn ich mir die Bemerkung gestatten darf. Kann man da wirklich alles kontrollieren?«

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