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Kielwasser

Kielwasser

Titel: Kielwasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Pelte
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keine Ruhe gibst, schmeiß ich dich eigenhändig aus der Messe. Ich rate dir, es nicht darauf ankommen zu lassen«, wurde Schumann jetzt lauter.
    »Tolle Kameradschaft. Hältst dich für was Besseres, was? Davon hatten wir schon mal einen. Jetzt ist er weg. War nicht Kamerad.«
    »Zwei-Decksmeister, wenn du nicht die Klappe hältst, fliegst du raus. Geht das jetzt in deinen weichen Keks?«, mischte sich ein älterer Hauptbootsmann am Nebentisch ein.
    »Schon gut, Antriebsmeister, reg dich nicht auf. Ich sag ja nur: war nicht Kamerad.«
    Jung legte Schumann seine Hand auf den Unterarm. »Komm, lass uns gehen. Wir können uns hier nicht ungestört unterhalten.«
    Schumannn musterte ihn entschuldigend, widersprach ihm aber nicht.
    »Er klang betrunken«, bemerkte Jung draußen.
    »Der Alkoholkonsum an Bord ist auf zwei Flaschen Bier am Tag beschränkt, jedenfalls solange sich die Wellen drehen. Davon wird man nicht besoffen, schon gar nicht Hein Seemann«, erwiderte Schumann.
    »Vielleicht hat er schlecht geschlafen.«
    »Unsinn. Der hat nur nicht genug zu tun. Labert wie ein Waschweib. Solche Typen kannst du in der Pfeife rauchen«, schimpfte Schumann ärgerlich.
    Sie stiegen das Treppenhaus zum H-Deck hoch.
    »Soll ich dir die Brücke zeigen, Tomi? Ist interessant. Du hast ’ne schöne Aussicht da oben.«
    »Das nächste Mal. Ich verziehe mich in meine Kammer und mache mir ein paar Notizen.«
    »Wenn du mich brauchst, erreichst du mich in der Kammer des Wachtmeisters. Da können wir unter vier Augen reden.«
    »Bist du allein auf deiner Kammer?«
    »Der Wachtmeister hat seine Kammer für mich frei gemacht und ist solange zum Decksmeister gezogen.«
    »Hat das mit deinem Dienstgrad zu tun?«
    »Kameradschaft unter alten Fahrensleuten, so musst du das sehen.« Schumann tippte mit der Hand leichthin gegen seine Schläfe und verschwand im Treppenhaus.
    Jung suchte seine Kammer auf. Bis er den Laptop auf der Klappe des schmalen Einbausekretärs geöffnet hatte, schwirrte das Wort Kameradschaft in seinem Kopf herum. Er hatte es heute schon so oft gehört. Welche Bedeutung hatte Kameradschaft unter Marinern? Der verschwundene KaFü hatte offensichtlich nicht dazugehört, jedenfalls nicht unumstritten. Wie musste er sich ein Besatzungsmitglied vorstellen, das nicht Kamerad war, aber von den Kameraden anerkannte Arbeit leistete? Welchen Dienstgrad hatte er eigentlich gehabt?
    Jung dachte in diesem Zusammenhang an den Bootsmann in der Messe. Wie konnte man so reden, ohne betrunken zu sein? Schumis Erklärung befriedigte ihn nicht. Jung ließ sich nicht davon abbringen: Ein erheblicher Kontrollverlust war schon nötig, um so ungefiltert den fauligen Bodensatz vorhandener Ressentiments ans Tageslicht zu lassen.
    Dann notierte er sich:
    Guter und anerkannter Arbeiter (auch von Offizie-
ren)
    Diszipliniert
    Sportler
    Kein Säufer
    Einzelgänger
    Kein Kamerad (was Besseres?)
    Keine nahe Verwandtschaft
    Entlobt wegen seiner Machenschaften (?)
     
    Fragen:
    Dienstgrad?
    Alter?
    Herkunft?
    Schulbildung, Zeugnisse, Beurteilungen?
    Sonstige Hobbys?
    Machenschaften?
     
    Dafür, dass er noch nicht einmal einen ganzen Tag an Bord war, fand Jung die Ausbeute erstaunlich. Er merkte, dass er müde war, und machte Anstalten, sich in die Koje zu legen.
    Es klopfte an der Tür. Der MET betrat die Kammer und sah sich um. »Wenn wir zu zweit sind, wird’s eng. Ich schlage vor, wir bringen die Seesäcke in die Kofferlast. Dann haben wir etwas mehr Platz, okay?«
    »Wenn Sie mir sagen, wo das ist?«
    Sie nahmen die Säcke und schleppten sie den gegenüberliegenden Quergang entlang in einen an der Backbordaußenwand liegenden niedrigen Verschlag. Hier waren schon verschiedene andere Gegenstände eingelagert, vom Super-Samsonite über ein Surfboard bis zum Beachvolleyball.
    »Wie fühlen Sie sich an Bord?«, fragte der MET, als sie zurück in der Kammer waren.
    »Ich bin müde.«
    »Das macht die Luftveränderung. Wenn Sie sich akklimatisiert haben, werden Sie es genießen.«
    »Ich fand es heute an Oberdeck sehr heiß. Ich hätte mich da nicht lange aufhalten mögen.«
    »Das Schiff heizt sich in der Sonne auf. Wir haben jetzt Spätherbst. Nichts im Vergleich zum Sommer. Warten Sie ab und es wird Ihnen gefallen.«
    Jung war sich da nicht so sicher. Er mochte den Herbst mit Sturm und Regen und mit ruhigen Perioden, in denen eine tief stehende Sonne der feuchten Luft eine melancholische Aura verlieh. Er ging in dieser Jahreszeit gern spazieren, in

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