Kielwasser
bequemen Schuhen und eingehüllt in seine Lieblingsjacke.
Der MET kramte in dem Bücherbord des offenen Sekretärs. »Ich bin auch gleich wieder weg. Brauche nur ein paar Unterlagen.«
Jung sah ihm nachdenklich zu. »Darf ich Sie mal etwas fragen?«, wandte er sich schließlich an ihn.
»Nur zu.«
»Gibt es hier eigentlich Meeresströmungen?«
»Hier, im Golf von Aden? Wenn Sie da an Ströme wie den Agulhas-, den Humboldt- oder Golfstrom denken, nein, das gibt es hier nicht.«
»Aber es gibt etwas, nicht wahr?« Jung witterte, dass der MET gern die Gelegenheit ergreifen würde, ihm sein Wissen vorzuführen.
»Das Übliche: windinduzierte, vorübergehende Driftströme. Dazu muss es aber lange und kräftig blasen. In dieser Jahreszeit so gut wie gar nicht.«
»Danke.«
»Warum fragen Sie?«
»Ich überlegte vorhin, als ich an Oberdeck stand, wohin eine Flaschenpost treiben würde, wenn ich sie über Bord würfe.«
»Wahrscheinlich würde sie von dem regen Schiffsverkehr kaputt gefahren werden. Oder einem der vielen Fischer ins Netz gehen.«
»Ich lege mich jetzt hin. Ich bin hundemüde.« Jung zog seine schwarzen Halbschuhe aus und hoffte, dass seine Socken von der Mittagshitze nicht mehr qualmten. Der MET sah ihn irritiert an, sagte aber nichts mehr und verließ den Raum.
Der Militärpfarrer
Nach dem Abendessen wechselte Jung in die Bar der O-Messe, die von dem Essbereich durch ein schweres Stahlschott abgetrennt war. Im Schiff herrschte Rauchverbot. Hier durfte geraucht werden. Normalerweise hätte ihm das gereicht, sich dort nicht aufzuhalten. Aber außer ihm war nur noch eine Person anwesend. Die rauchte nicht und trug eine Uniform ohne Rangabzeichen. Ein schlichtes Kreuz war auf den Achselklappen seines Bordanzugs aufgenäht.
»Guten Abend, Herr Jung. Ich war heute Morgen beim Briefing. Sie haben mich sicherlich nicht gesehen. Ich bin der Militärpfarrer. Wollen Sie sich zu mir setzen?«, sprach er Jung an.
»Danke, gern. Darf ich Sie zu einem Glas Bier einladen?«
»Darf es auch ein Glas Rotwein sein? Der ist gut. Kann ich Ihnen empfehlen.«
»Hört sich gut an, das nehme ich auch.« Sie setzten sich auf die Barhocker und Jung bestellte bei der Ordonnanz hinter dem Tresen. »Ich hörte, dass der Alkoholkonsum auf zwei Flaschen Bier pro Tag beschränkt ist. Gilt das auch für Rotwein?«
»Zwei Flaschen? Natürlich nicht.« Der Pfarrer lachte. »Von den Offizieren erwartet man übrigens, dass sie immer ›klar zum‹ sind. Viele von ihnen trinken gar keinen Alkohol, solange das Schiff in See steht.« Der Rotwein kam und sie prosteten sich zu.
»Nicht schlecht. Ich vermute, ein Trollinger«, bemerkte Jung.
»Stimmt. Ist nicht schwer herauszuschmecken, nicht wahr.« Der Pfarrer nahm noch einen kräftigen Schluck.
»Sind Alkohol oder Drogen ein Problem an Bord, Herr Pfarrer?«, wollte Jung wissen.
»Ich würde sagen, nicht mehr als an Land auch.« Das klang nicht sehr überzeugend. »Der Borddienst ist natürlich was Spezielles. Die Betreuung der Soldaten hat einen hohen Stellenwert. Deshalb bin ich ja hier.«
»Haben Sie viel damit zu tun? Ich meine mit Alkoholmissbrauch?«
»Hin und wieder. Aber das ist nicht das Hauptproblem. Es gibt anderes, das mir Sorgen macht.«
»Erzählen Sie.«
»Aber bitte nicht für Ihren Bericht an den Befehlshaber.«
»Wie Sie wollen«, beteuerte Jung. »Obwohl ich mich frage, was die Wahrheit eigentlich schaden kann, gerade im Ohr des Flottenchefs?«
»Prinzipiell stimme ich Ihnen zu. Aber es gibt viele Wahrheiten. Und es ist nicht immer nützlich, eine Wahrheit an die falsche Stelle zu tragen.«
Jung drehte nachdenklich sein Glas in der Hand und trank daraus. »An die falsche Stelle? Wo wäre denn die richtige?«
»Bei mir.«
»Und warum?«
»Weil der Flottenchef da gar nichts machen kann, selbst wenn er wollte.«
»Warum ist er dann Chef?«
»Gute Frage. Ich glaube, Chefs haben weniger Möglichkeiten, als man ihnen allgemein zumisst.«
»Und warum braucht man sie dann?« Jung stellte sich bewusst naiv, um den Priester zum Reden zu verleiten.
»Ohne sie würde der Verein auseinanderstieben wie ein Haufen aufgescheuchter Hühner.« Dabei ließ der Mann es bewenden. Sie schwiegen und hingen ihren Gedanken über Führungskräfte nach. Jung wollte seinen Gesprächspartner aus der Reserve locken und meinte schließlich: »Die Chefs bedienen also eine Illusion?«
»Ja, ich glaube schon. Und ihre
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