Kielwasser
Leistung besteht darin, dass das nicht auffällt.«
Jung wunderte sich über die Antwort und zog erstaunt die Augenbrauen hoch. »Und wie schaffen sie das?«
»Sie glauben selbst an die Illusion und werden gut bezahlt.«
»Und fallen irgendwann auf die Schnauze.« Jung ließ nicht locker in dem Bemühen, den Gesprächspartner zu provozieren.
»Eben nicht, jedenfalls meistens nicht. Das macht ja ihre Klasse aus. Sie müssen die Mittel beherrschen, die nötig sind, es nicht so weit kommen zu lassen.«
»Und wenn doch?« Jung bemerkte, dass der Mann Gefallen an der Diskussion fand und sich darüber freute, einen aufmerksamen Zuhörer in ihm gefunden zu haben.
»Dann schlägt die größte Stunde. Ihre Führungskräfte müssen den Trümmerhaufen so entsorgen, dass sie dabei wie Phönix aus der Asche steigen.«
»Schwieriger Job.«
»Manchmal. Aber meistens finden sie schon einen Mitschuldigen, mit dem sie sich die Verantwortung teilen können. Und wenn’s nur das Wetter ist, das mal wieder nicht richtig funktioniert hat.«
»Das nennt man dann gutes Führungsverhalten, nicht wahr?«
»So ungefähr.«
»Für einen Gottesmann sind Sie ganz schön zynisch«, schloss Jung ihren Diskurs ab.
»Als Gottesmann bin ich Realist. Das bin ich meinem Gott schuldig. Auch deshalb liebt er mich, in unverbrüchlicher Treue. Daran glaube ich.«
Es entstand eine Pause. Sie sahen sich nachdenklich an.
»Sie erwähnten vorhin Probleme, die Ihnen Sorge bereiten«, nahm Jung das Gespräch wieder auf.
»Ich hoffe doch nicht, dass Sie mich heute Abend, hier an der Bar, für Ihren Bericht interviewen.« Der Pfarrer legte offensichtlich großen Wert darauf, in keinem wichtigen Dokument zitiert zu werden.
»Keine Angst. Ich bin zum ersten Mal auf einem Kriegsschiff. Für mich ist alles neu und fremd. Deswegen frage ich«, beschwichtigte ihn Jung. Ihm war bewusst, dass er zugleich log und die Wahrheit sagte. Das beruhigte ihn.
»Mir geht es manchmal heute noch so«, erwiderte der Pfarrer.
»Was mich interessieren würde: Ich höre immer von Kameradschaft und Kameraden, Nichtkamerad, was Besseres und ähnlichen Begriffen. Wie wichtig ist das auf einem Schiff? Haben Sie mal darüber nachgedacht?«
»Ja. Es ist sehr wichtig.«
»Und warum? Wie muss ich mir das vorstellen?«
»Kameradschaft entsteht zwischen Menschen, die sich einer gemeinsamen Bedrohung ausgesetzt sehen, einer gemeinsamen Aufgabe verpflichtet sind, ein gemeinsames Schicksal erleiden, gemeinsame Lebensbedingungen teilen usw. Sie spüren, dass sie nur gemeinsam damit klarkommen können. Jeder trägt zur Bewältigung den Anteil bei, den er am besten kann oder der ihm übertragen worden ist.«
»Also müssten alle Menschen Kameraden sein«, warf Jung ein.
»Eigentlich schon.«
»Die Bibel spricht da wohl von Brüdern und Schwestern. Das ist Ihr Metier.«
»Genau. Nur bei Gott braucht der Mensch nichts zu leisten. Er ist Mensch von Gottes Gnade. Das reicht.«
»Sehr tröstlich«, warf Jung ein. »Und warum klappt das im Allgemeinen nicht? Und warum sollte das ausgerechnet auf einem Schiff funktionieren?«
»Wir sind leider aus dem Paradies verbannt. Auf einem Schiff ist die gemeinsame Aufgabe und Bedrohung augenscheinlicher und besser zu greifen. Jedenfalls war es bislang so. Im Krieg ist sie am deutlichsten. Deswegen entstehen da auch die engsten Kameradschaften, sogar unter Feinden.«
»Ah ja, und ein Nichtkamerad ist einer, der da nicht mitmacht.«
»Das oder einer, der mitmacht und dennoch erkennen lässt, dass es für ihn noch was Wichtigeres gibt.«
»Wie zeigt er das?«
»Er beteiligt sich zum Beispiel nicht unentwegt an den eingeschliffenen Kameradschaftsritualen.«
»Kein dauerndes Händeschütteln und keine gemütlichen Abende unter Kameraden in der Messe, also ein unsicherer Kandidat für die gemeinsame Sache?«
»So kann man das ausdrücken. Ja. Ziemlich zutreffend.«
»Oder er kann nichts. In diesem Fall ist er nur eine Last.«
»Stimmt auch.«
Jung drehte den Stiel seines Glases zwischen den Fingern und schwieg.
»Sie machen sich aber tiefschürfende Gedanken. Gehört das zu Ihrem Bericht?«, nahm der Pfarrer den Faden wieder auf.
»Nein, nein. Es kam mir nur so in den Sinn, als ich heute in der PUO-Messe eingeladen war.« Jung erzählte von seinem Erlebnis beim Kaffeetrinken mit Schumann.
»Das passt genau zu dem, was mir Sorge macht«, antwortete der Pfarrer. »Ich erwähnte es vorhin schon und bat Sie, es nicht in Ihrem Bericht
Weitere Kostenlose Bücher