Kill Decision
McKinney vorbei auf den Japaner. «Experte Fünf, künstliche Intelligenz.»
McKinneys Miene hellte sich auf. «Ich habe Ihren Fliegende-Fische-Schwarm gesehen, als ich letzte Nacht angekommen bin. Ganz schön cool.»
Der Mann lächelte. «Danke. Eher ein Experiment eigentlich.»
Odin zeigte auf den Afroamerikaner. «Experte Vier, Drohnenentwicklung.» Er zeigte auf den dünnen Blonden gegenüber. «Experte Zwo, Luftfahrt- und Elektrotechnik.» Dann auf den Koreaner daneben. «Experte Drei, technische Informatik.» Auf die Frau gegenüber von McKinney. «Snowcap, unsere MI- und Psyops-Offizierin.» Und auf die beiden Abhörleute. «Gumball und Leggo, elektronische Aufklärung. Und Foxy kennen Sie ja schon.»
Singleton nutzte das darauffolgende Schweigen, um, den Blick auf McKinney gerichtet, zu sagen: «Ich möchte Sie ja nicht beleidigen, Sechs, aber Ihre Software ist nicht gerade feldtaugliche KI. Ich will nicht, dass wir Zeit auf theoretische Schwarmmodelle vergeuden.»
Odin sagte in den Raum: «Mit Schwarmstrategien wurden, historisch gesehen, einundsechzig Prozent aller Schlachten gewonnen – auf urbanem Terrain sogar noch mehr. Denken Sie nur an Grosny, Stalingrad etc.»
«Aber wir haben es mit weitaus höher entwickelten Einzelwaffensystemen zu tun», hielt Singleton dagegen.
«Die mich nicht so beunruhigen wie das, was kommen könnte.»
Singleton schnaubte. «Sie wollen doch nicht im Ernst sagen, wir sollen dieses gezielte Morden ungehindert weitergehen lassen?»
«Strapazieren Sie meine Geduld nicht weiter. Der Feind interessiert sich für autonome Schwarmstrategien – die potenziell das Kriegswesen verändern können. Wir werden uns anhören, was Sechs weiß.»
Odin machte eine auffordernde Handbewegung zu McKinney hin. «Professor, würden Sie bitte nach vorn kommen und dem Team eine kurze Einführung geben – zu Ihrem Softwaremodell und vielleicht zu Weberameisen generell?»
McKinney seufzte, weil ihr bewusst wurde, wie müde sie war. Aber das kannte sie nur zu gut. Sie hatte in ihrer Zeit als Lehrassistentin und dann als Assistenzprofessorin ständig Lehrveranstaltungen in übermüdetem Zustand gehalten. Sie nickte, stand auf und ging zu dem Whiteboard an der Gesteinssäule. Es war voll mit Schaltkreisdiagrammen und Workflows in grünem Boardmarker.
Sie fragte in den Raum: «Ist es okay, wenn ich das abwische?»
Singleton brummte mit schmollender Miene: «Ich gehe da noch ein paar Sachen durch.»
McKinney legte den Trockenschwamm wieder hin. «Okay. Ich kann wohl auch –»
Foxy rollte bereits ein mobiles Whiteboard vom Rand des Raums heran. Er schob es vor das andere.
«Danke.» Sie nahm einen Marker und wandte sich den versammelten Experten zu. Schon einer der seltsameren Vorträge ihres Lebens. Sie sah den japanischen KI-Spezialisten an. «Fünf – vieles, was ich jetzt sage, wird für Sie banal klingen. Ich entschuldige mich im Voraus.»
«Aber nicht doch. Es interessiert mich sehr.»
«Tja …» Sie sammelte sich kurz. «Ameisenkolonieoptimierungsmodelle oder kurz ACO-Modelle gibt es seit Anfang der neunziger Jahre. Mathematische Repräsentationen von Ameisenverhalten werden in der Privatwirtschaft weithin benutzt, um komplexe logistische Aufgaben zu optimieren, etwa Lieferroutenplanung, Netzwerk-Routing, Marktanalyse. Schwarmintelligenz nach Ameisenart lässt sich am besten an einem klassischen kombinatorischen Optimierungsproblem illustrieren, dem sogenannten Problem des Handlungsreisenden …»
McKinney malte eine Serie von Punkten auf das Board. «Wenn man eine Liste von Städten hat» – sie begann, die Punkte mit einer einzigen Linie zu verbinden – «wie kann man dann die kürzestmögliche Route finden, die durch jede Stadt nur einmal führt?» Ihre Tafelroute erwies sich bald als untaugliche Lösung, und sie blickte in den Raum. «Klingt einfach, ist es aber nicht; es ist ein sogenanntes nichtdeterministisch-polynomial-schweres Problem – heißt, für Menschen sehr schwer zu lösen. Ameisen lösen dieses Problem routinemäßig. Sie finden immer den kürzestmöglichen Weg zu einer Nahrungsquelle, und wie Experimente nach dem Muster des Türme-von-Hanoi-Problems zeigen, können sie, wenn der Weg durch ein Hindernis versperrt ist, reagieren und den zweitkürzesten Weg finden. Und so weiter. Und das alles tun sie ohne zentralisierte Kontrolle und ohne bewusste Intention.
In vielerlei Hinsicht ähneln einzelne Ameisen den einzelnen Neuronen im menschlichen Gehirn.
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