Kill Order
Schulter und blieben auf seinem Arm liegen. Er spürte, wie sich die Härchen auf seiner Haut unter ihrer Berührung aufrichteten. Unwillkürlich schloss er die Augen.
„Ja“, flüsterte er. „Das frage ich mich die ganze Zeit.“
Ihr Haar kitzelte ihn im Gesicht, warm strich ihr Atem über seine Wange. Er wagte kaum, sich zu rühren. Dann endlich streckte er einen Arm aus und vergrub seine Finger in ihrem Haar.
*
Die Zeit kristallisierte in Streifen hellen Mondlichts, das seine Schulter und einen Arm und die Linie seines Kinns aus dem Dunkel hoben. Die Spur seiner Finger, sein Atem auf ihrer Haut, seine Lippen, die ihre Schläfe streiften. Sein Mund schmeckte nach Rotwein und Wärme und einer Sehnsucht, die keine Worte kannte.
Sie spürte seine Hände, die ihre Arme hinabstrichen, ihre Taille umschlangen und unter ihr Hemd glitten, um es mit einem entschlossenen Ruck nach oben zu ziehen. Sie wusste, wie hart diese Hände sein konnten und bebte unter der Zartheit, zu der er sich zwang.
Im Moment, da er seine Vorsicht aufgab und sie an sich presste, da seine Liebkosungen Feuer fingen und von Behutsamkeit umschlugen zu verzweifelter Gier, da wusste sie, dass keine Süße schmerzlicher sein konnte als dieser Moment, in dem sie sich ineinander verloren.
Mit einer Hand nestelte sie am Verschluss seiner Jeans, während sie die Finger der anderen in seine Haut grub, weil sie mehr von ihm spüren wollte. Das Atmen fiel ihr schwer, als er ihr Handgelenk umfing und ihr half, die Hose abzustreifen. Sein Kuss gewann an Härte und Gewalttätigkeit und schürte die Heftigkeit, mit der sie ihn begehrte. Wie Verdurstende klammerten sie sich aneinander, die nie mehr genug voneinander bekommen konnten.
In einem entfernten Winkel ihres Geistes wurde ihr klar, dass das mehr war als zwei einsame Seelen, die einander Trost spendeten, viel mehr als ein flüchtiger Rausch. All das Ungesagte, die aufgestaute Sehnsucht so vieler Jahre, die verlorenen Möglichkeiten. Sie atmete sein Keuchen ein, als sie ihre Beine mit seinen verschlang und erspürte seinen Herzschlag zwischen ihren Leibern. Sie verging in der Hitze seiner Haut und dem Gefühl, ertrinken zu müssen, während sie sich liebten, statt nur ein körperliches Begehren zu befriedigen.
*
Rafiq schreckte schweißgebadet aus dem Schlaf. Sein Herz raste ohne ersichtlichen Grund, sein Mund war so trocken, dass es schmerzte. Er brauchte einen Moment, bis er realisierte, dass Regen gegen die Scheiben prasselte. Sein Nacken und seine Rückenmuskeln fühlten sich steif an. Er erhob sich von der Matratze und tappte in die Küche. Mondlicht fiel durchs Fenster und verwandelte die Dunkelheit in eine Landschaft zerklüfteter Schatten. Er drehte den Wasserhahn auf und ließ den kalten Strahl minutenlang über seine Handgelenke laufen, trank das Wasser aus den hohlen Händen.
Allmählich beruhigte sich sein Pulsschlag. Die Zeiger der Küchenuhr standen auf Viertel nach fünf. Er war müde, verspürte aber nicht das Bedürfnis, sich wieder hinzulegen. Eine heftige Rastlosigkeit hatte Besitz von ihm ergriffen. Um halb acht würden sie Felix Roth in der Botschaft treffen, aber bis dahin waren es noch zweieinhalb Stunden. Die Warterei fraß an seinen Nerven. Jede Minute erschien ihm wie Zeitverschwendung.
Zeit, die sie nicht hatten.
Er schlüpfte in seine Jeans und ein T-Shirt, nahm die Kataloge und blätterte erneut in den Seiten. Inzwischen hatten sie Markierungen auf alle Bilder geklebt, die den Platz mit der Statue und dem roten Fenster zeigten. Was, wenn das alles vergeblich war? Wenn es keine Spur war, sondern nur ein toter Pfad, der sich im Dickicht verlor? Was dann?
Er nahm einen Stift und den Schreibblock vom Tisch und begann noch einmal bei Berlin I. Schrieb jedes Detail auf, das er aus dem Bild herauslesen konnte. Er versuchte einen Grundriss des Ortes zu zeichnen. Wieder wurde ihm klar, wie spekulativ das war.
Irgendwann gab er grollend auf. Er stellte sich ans Fenster, den Kopf gegen die Scheibe gedrückt. Sein Magen schmerzte, seine Augen brannten. Er dachte an den Zusammenstoß mit Tal und ärgerte sich, dass er die Beherrschung verloren hatte. Tals Sticheleien enthielten mehr Wahrheit, als ihm lieb war. Es stimmte, dass es ihm nur noch um Carmen ging, alles andere an dem Projekt interessierte ihn nicht mehr. Er fühlte sich auf diffuse Weise schuldig, dass sie Fedorow in die Hände gefallen war. Zeitweise hatte er versucht sich auszumalen, was Fedorow
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