Kill Order
spürte die plötzliche Unruhe und warf ihm einen argwöhnischen Blick zu, blieb aber dicht neben ihm.
„Ist er Israeli?“
„Er sitzt in der Knesset.“
„Ein Abgeordneter?“
Kusowjenko nickte. „Der zweite Name wird dir gar nicht gefallen.“
Nikolaj kniff die Augen zusammen, weil die Sonne ihn blendete und starrte hinüber zur Bodestraße. Was ging dort vor?
„Shimon Cohen.“ Genüsslich formulierte Kusowjenko die Silben. „Er ist Direktor beim Mossad. Ich würde dir einen Gefallen schulden, wenn du nach Tel Aviv fliegen und den Bastard für mich erschießen könntest.“
„Was hat er dir getan?“
„Mir passt der Ton nicht, in dem er mit mir redet. Das, und noch ein paar andere Kleinigkeiten.“ Kusowjenko wandte ihm den Kopf zu. Seine blassen Augen funkelten hinter den Brillengläsern. „Man muss auch loslassen können.“ Er lachte leise. „Obwohl wir lange Zeit gute Geschäfte miteinander gemacht haben.“
„Du bist ein seltsamer Mensch.“
„Das Gleiche könnte ich von dir behaupten. Du solltest mich mal in Prag besuchen.“
Staub und kleine Steinbrocken spritzten von der Säule schräg vor ihnen.
Nikolaj begriff im Bruchteil einer Sekunde, dass jemand auf sie feuerte. Jemand, der eine Waffe mit Schalldämpfer benutzte. Dann kreuzte sich sein Blick mit dem Viktors und er las die gleiche Verblüffung in den Augen des anderen. Geröllsplitter flogen durch die Luft. Eine Kette von Projektilen stanzte Krater in die Steinplatten zu ihren Füßen. Es war gespenstisch, die Einschläge zu sehen und dazu nichts zu hören als ein weiches Plopp – Plopp – Plopp.
Geistesgegenwärtig warf Nikolaj sich zur Seite. Kusowjenko dagegen war zu langsam. Sein Körper bäumte sich unter der Wucht der Einschläge auf. Als er den Grund berührte, war kein Leben mehr in seinen Augen.
Nikolaj rollte sich seitlich über die Steine. Er packte die Beretta und klickte die Sicherung zurück, während er gleichzeitig herauszufinden versuchte, woher die Schüsse kamen. Der Schütze lauerte irgendwo vor ihm, er konnte nichts sehen. Gegen eine Säule gedrückt schob er sich in eine halb sitzende Position, während rechts und links von ihm Schrapnell aus dem Sandstein platzte. In seinem Ohrmikrofon knackte es.
„Was ist da los?“ Das war Carmens Stimme, ein hastiges Flüstern, verzerrt durch die Übertragung.
„Bleib wo du bist“, keuchte er. Eine Kugel schlug neben ihm in den Boden, so dicht, dass er zusammenzuckte. Von irgendwoher tönten Schreie. Jemand hatte die Schüsse bemerkt, die Leiche und das Blut. Sein Blick streifte Kusowjenkos reglosen Körper, hastete über die Säulen, die Bodestraße dahinter. Eine Windböe fuhr durch die trockenen Blätter.
Und Carmens Atem im Mikrofon. Er hatte nicht mehr damit gerechnet. Sein Herz hämmerte schmerzhaft gegen die Rippen, seine Gedanken überschlugen sich. Er war auf einen Angriff vorbereitet gewesen, aber er hatte ihn früher erwartet. Und nicht auf diese Weise.
Plötzlich krachten Schüsse von der Straße her, gingen auf in einer vielstimmigen Kakophonie aus Schreien. Diesmal waren es keine Schalldämpfer. Nikolaj hatte jedoch nicht den Eindruck, dass diese Schüsse ihm galten. Wahrscheinlich waren es Kusowjenkos Leibwächter, die realisierten, dass gerade jemand ihren Boss erschossen hatte.
Mein Gott, Viktor war tot.
Er hätte im Notfall als Geisel dienen sollen, als lebender Schild. Aber das war nun keine Option mehr. War vielleicht nie eine gewesen. Nikolaj spähte hinter der Säule hervor, als das Feuer verstummte. Er registrierte, wie sich die Panik unter der Menschenmenge ausbreitete. Wellenförmig stoben sie auseinander und flüchteten von den Straßen. In der Ferne heulten Sirenen.
Scheiße. Hier saß er in der Falle. Er konnte warten, bis die Polizei kam oder bis ihn eine Kugel erwischte. Den Rücken gegen die Säule gedrückt, stemmte er sich hoch. Auf dem Rasen vor der Nationalgalerie tauchten zwei Männer auf, maskiert und mit Sturmgewehren im Anschlag. Sie versuchten seinen Standpunkt zu umgehen, um ihn von der entgegengesetzten Seite unter Beschuss zu nehmen. Er holte tief Atem, schwenkte mit ausgestrecktem Arm herum und feuerte vier Schüsse in ihre Richtung. Er sah nicht, ob er getroffen hatte, denn dicht neben seinem Oberkörper schlugen Projektile in die Säule und zwangen ihn zurück in die Deckung. Ein Splitter traf ihn an der Stirn. Hastig wischte er das Blut ab. Weiter weg krachten Pistolenschüsse. Die Sirenen kamen näher.
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