Kill Whitey
Jes...«
Ich verstummte. Was ich sagen wollte, war ›Wie Jesse‹, aber ich brachte die Worte nicht heraus.
In meinem Hals steckte ein Kloß. Meine Augen brannten. Yul ließ den Kopf hängen und schniefte. Ich fühlte mich wie das größte Arschloch der Welt. Jesse war tot, es war meine Schuld, und kaum ein paar Stunden nach seinem Tod benutzte ich ihn als Pointe für einen bescheuerten Witz.
Sondra musste die Anspannung gespürt haben, denn sie ergriff rasch das Wort. »Ist nicht, was es heißt auf Russisch. Nicht ›geil‹. Rasputin kommt von Rasputje , und das heißt ›Ort von Kreuzungen.‹ Ort, wo sich Wege treffen. Irrgarten. Wie sagt man noch? Lab...?«
»Labyrinth«, half ich ihr. »Es heißt Labyrinth.«
»Das ist, was Rasputin bedeutet. Labyrinth.«
»Wenn ihr mich fragt«, meinte Yul, »bedeutet es übler Scheißkerl. Ich meine, wenn dieser Whitey wie sein Urgroßvater ist, wie sollen wir ihn dann aufhalten? Wie bringt man jemanden um, der nicht stirbt?«
»Er ist nicht unverwundbar«, gab ich zurück. »Er spürt Schmerzen. Und er kennt Angst. Ihr habt ihn ja schreien gehört, als ich ihn angeschossen habe. Und Rasputin ist letztlich sehr wohl gestorben. Wir müssen Whitey also nur heftig genug umbringen, um ihn ein für alle Mal zu erledigen. Wir müssen dafür sorgen, dass nichts von ihm übrigbleibt, das zurückkommen und uns verfolgen könnte.«
»Aber wie?«, hakte Yul nach.
»Weiß ich nicht«, flüsterte ich. »Aber wir sollten uns besser schnell etwas einfallen lassen.«
»Wieso?«
»Hört mal.«
Hämmernde Geräusche hallten durch das Lagerhaus. Jemand schlug gegen die vernagelten Fenster.
»O Scheiße.« Yul erbleichte. »Wir sind am Arsch.«
Ausnahmsweise hatte er recht.
15
Das Hämmern wurde lauter und eindringlicher. Es war das Geräusch von jemanden, der einen wirklich schlechten Tag hatte und bereit war, seinen Unmut an anderen auszulassen.
»Was sollen wir tun?«, stieß Yul hervor. »Das ist er!«
»Vielleicht auch nicht«, erwiderte ich und spähte hinter den Kartons hervor. »Es könnten auch die Bullen sein. Oder ein Obdachloser. Wir ...«
Ein lautes Krachen schnitt mir das Wort ab. Es klang, als wäre die Sperrholzplatte, die ich gegen das Fenster gelehnt hatte, zu Boden gefallen, zusammen mit den Holzkisten, mit denen ich sie gestützt hatte. Danach trat Stille ein.
Wir starrten einander mit geweiteten Augen an. Sondra und Yul wirkten angespannt und hielten den Atem an. Ich sah mich nach einer Waffe um, aber weit und breit gab es nichts außer einigen Holzpaletten und einem Gewirr von Umreifungsbändern aus Kunststoff und Metall, allesamt zerschnitten oder zerrissen. Die Paletten lagen außer Reichweite. Wenn ich hinüberginge und es mir gelänge, eine Holzlatte davon zu lösen, wäre ich ungeschützt und weithin zu sehen. Das war nicht gut. Mit einem der Umreifungsbänder hätte ich Whitey erwürgen oder ihm vielleicht die Kehle durchschneiden können, falls ich eines aus Metall fände, das scharf genug war – und falls ich nahe genug an ihn herankäme. Ob mit Rasputin verwandt oder nicht, ich hätte zu wetten gewagt, dass es ihm schwerfallen würde, eine aufgeschlitzte Kehle zu überleben. Sicher, die Chancen dafür, dass ich ihm nah genug kommen könnte, um es durchzuziehen, standen schlecht, aber die Glock war ohne Munition nutzlos, außer vielleicht als Prügel. Prima. Das war’s. Ich würde ihm den Griff der Pistole auf den Kopf schlagen – und er würde mir ins Gesicht schießen. Für mich bestand kein Zweifel daran, dass Whitey noch Patronen in seiner Waffe hatte. Er schien mir nicht der Typ zu sein, der das Haus ohne Reservemunition verließ.
Nach wie vor angespannt beugte sich Yul vor und flüsterte mir ins Ohr. »Das klingt nicht wie die Bullen, Larry.«
»Woher willst du das wissen?«
»Na ja, sie würden sicher etwas brüllen wie: ›Halt, hier spricht die Polizei!‹ Oder: ›Waffen fallen lassen.‹ Und das höre ich nicht.«
Wie um Yuls Äußerung zu unterstreichen, hallte Whiteys Stimme durch das leere Lagerhaus: »Kommt heraus, kleine Mäuse, kommt heraus. Ihr seid sehr schlimm gewesen, und es ist an der Zeit, dem ein Ende zu bereiten. Ich habe heute noch andere Dinge zu erledigen.«
Sondra ergriff meine Hand und drückte sie. Ich versuchte, sie beruhigend anzulächeln, zitterte stattdessen jedoch nur.
»Mr Gibson«, rief Whitey. »Ich weiß, dass Sie sich hier drin verstecken. Ich habe einen Vorschlag für Sie. Wenn Sie mir das
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