Kill your friends
nicht. Es ist mein Job, es zu wissen, aber ich weiß es nicht. »Ich denke … zwei Weltkriege und ein WM-Titel«, antworte ich.
Er schmeißt sich weg vor Lachen. Sein Gelächter enthält genau die angemessene Dosis von Hysterie und Reverenz gegenüber seinem Vorgesetzten und Wohltäter.
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Später, als ich in meinem Hotelzimmer – einem repräsentativen Zimmer im Majestic, das Rebecca für mich aufgetan hat – irgendwelchen Schund durchblättere, registriere ich, dass sich für die diesjährige Messe Delegationen aus 91 Ländern akkreditiert haben. Neben den üblichen Verdächtigen – den Krauts, Froschfressern, Brits, Japsen und Amis – gibt es einen Arsch voll weniger Augenfälliger – Neuseeländer, Mexikaner, Russen – und ein Häuflein völlig abgefahrener Exoten wie Ugander, Rumänen und Tansanier. Beschissene Tansanier. Zugegeben, ich weiß nicht allzu viel über die Innenpolitik von Tansania, aber haben die nichts Wichtigeres mit ihrem Geld zu regeln als irgendeinen Medizinmann für einen Haufen Kohle nach Cannes zu schicken, damit er einer Horde besoffener, zugekokster Idioten dabei zusieht, wie sie sich gegenseitig Schimpfwörter an den Kopf werfen und Hundert-Pfund-Dinner in Nachtclubtoiletten kotzen? Welchen Stellenwert kann Musik bei denen schon haben?
Aber alle kommen miteinander klar. Oh ja. Sozialer Hintergrund und ethnische Herkunft stehen hier keinem Deal im Weg. Wenn es ein Geschäft durchzuziehen gibt und dabei Dollar, Yen, Rubel oder Franc zu verdienen sind, spielen Vorurteile keine Rolle mehr. Selbst gegenüber grundsätzlichen moralischen Gegensätzen übt man sich in Toleranz. Seht mal da rüber: Die arabische Delegation entkorkt eine Flasche Cristal, um den vermeintlich lukrativen Lizenzdeal für »Die ultimativen Bar-Mitzvah-Klassiker!« zu feiern. In der anderen Ecke schnappt sich der streng katholische Labelboss aus Irland die exklusiven Vertriebsrechte für ein aufregendes neues Label namens DIE ROTE HAND: TÖTET ALLE REPUBLIKANISCHEN BASTARDE. Musik kennt in der Tat keine Grenzen. Gier ist so unglaublich allumfassend.
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Der nächste Nachmittag. Schneider und ich haben einen Tisch mit Hafenblick auf der glasverkleideten Veranda eines unanständig teuren Restaurants am anderen Ende der Croisette reserviert. Der Tisch ist mit Bleikristallgläsern, einer gestärkten weißen Leinentischdecke und schwerem Tafelsilber eingedeckt. Meiner bescheidenen Meinung nach ist es ja ein ausgesprochen hehres Ziel, Rage an einen Platz wie diesen zu verfrachten. Aber Schneider, der eine Auseinandersetzung befürchtete (mit jemandem wie Rage hat man ständig Auseinandersetzungen), suchte nach einem Ort abseits des Geschehens, an dem es nicht vor Messevolk wimmelt. Was definitiv nicht der Fall ist, denn hier gibt’s nur rudelweise elegante Froschfresser, die geräuschvoll die rostroten Hummerpanzer knacken und das cremige Fleisch von den weiß marmorierten Schalen der Langusten schaben. Rage und Fisher, sein Manager, sind so viel zu spät, dass wir bereits bestellt haben. Vor uns dampfen gewaltige Terrinen mit dreißig Pfund teurer Bouillabaisse. Wir löffeln Suppe, schlürfen Sauvignon und halten Smalltalk, besprechen Deals und tauschen Gerüchte aus. Schneider ist nervös. Unruhig wippt er unter dem Tisch mit dem Fuß. Er weiß, dass er sich mit dem Rage-Album auf dünnes Eis wagt. Unter dem Eis lauern die Haie, bereit, ihn in Stücke zu reißen. Schreckliche, ausgehungerte Haie, mit rostigen Injektionsnadeln anstelle von Zähnen, die Kammern der Spritzen gefüllt mit Pestilenz, Milzbrand und Aids. Immer schneller ziehen sie ihre Kreise, kommen näher und näher an die Oberfläche, bis das Eis unter Schneiders glänzenden Patrick-Cox-Slippern zu knacken und zu splittern beginnt.
Auf einmal spüren wir, wie sich der Puls, der Herzschlag des Ortes verändert, heben den Blick und sehen Rage und Fisher über die Terrasse auf uns zu stolzieren.
Fisher fällt an einem Platz wie diesem weiß Gott genug auf: ein glatzköpfiger, 240 Pfund schwerer East-End-Hooligan mit einer schweren, goldenen Kordel um den Hals, unförmigen, übergroßen Sportswear-Klamotten und strahlendweißen Basketballstiefeln, groß wie Autoscooter. Aber Rage … Da brat mir doch einer ’nen verfickten Storch.
Vergesst die Tatsache, dass er eine Sonnenbrille, eine Baseballkappe und ein T-Shirt mit der Aufschrift »Nigger« trägt. Es ist der Schmuck. Ein halbes Dutzend goldener Stecker hat er sich in jedes
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