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Kill your friends

Kill your friends

Titel: Kill your friends Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Niven
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Lichtern gewichen: Linien, Gittern und Feldern. »Wie viel Uhr ist es?«, frage ich. Meine Stimme gleicht einem von gebrochenen Leitungen und verstopften Lüftungsschächten produzierten Penner-Raspeln. In meinen Ohren rauscht ein modulierendes Fiepen, ein rapide aufsteigender Ton, auf der Suche nach der korrekten, schmerzhaften Tonart.
    »Es ist kurz nach sechs, Sir.«
    »Scheiße.« Ich rappele mich auf. Schwinge mich auf meine Füße, greife nach meiner Jacke und fische nach meiner Tasche. Der Typ hilft mir vom Boden auf. »Sir … Sir?«
    »Wo geht’s zum Gate …« Ich taste nach meiner Bordkarte.
    »Sir, es ist sechs Uhr früh, sechs Uhr am Morgen.«
    Ich starre ihn ungläubig an. Das Fiepen in meinen Ohren hat endlich die richtige Tonhöhe erreicht. Mit einem Knall löst sich eine Blockade irgendwo hinter meiner Nase, ein kleiner Dammbruch tief im Zentrum meines Gesichts.
    »Der nächste Flug nach Houston geht frühestens in vier Stunden.«
    Beschissene Quaaludes. Diese Amis wissen, wie man einen Tranquilizer zusammenschraubt, das muss man ihnen lassen.
    »Oh, Sir, Sie haben da … oh Gott.« Er fummelt in seiner Tasche herum.
    Aber ich kann das Blut längst würzig in meiner Kehle schmecken. Ich schmecke, wie es seine warme, seltsam angenehme Kaskade über meine Oberlippe beginnt und auf mein T-Shirt tropft. Auf meinem T-Shirt ist ein Foto von Al Pacino als Tony Montana. Er hält einen riesigen Ballermann. »Sag ›Hallo‹ zu meinem kleinen Freund.«
    ***
     
    Wenn Leute, die keine Ahnung von der Musikindustrie haben, die Bedeutung von A&R zu verstehen versuchen, sagen sie: »Äh, ihr seid also Talentsucher?« Doch das ist irreführend. Madonna, Bono, die Spice Girls, Noel Gallagher, Kylie … glaubt ihr wirklich, dass auch nur einer von denen talentiert ist? Macht euch nicht lächerlich. Was sie sind, ist ambitioniert. Mit ihnen ist das große Geld zu machen. Scheiß auf Talent, vergesst den Rock ’n’ Roll. Hätte Bono sich für einen anderen Weg vom Schulhof entschieden, hätte er genauso gut der Vorstandsvorsitzende eines Rüstungsbetriebs werden können. Die Spice Girls? Wie ehrgeizig sind diese Schlampen? Lass diese beschissenen Indie-Bands doch darüber stöhnen, dass sie alle drei Monate einmal vor dem Lunch aufstehen müssen, um in irgendeiner Kindersendung aufzutreten. Ich garantiere euch, dass Geri Halliwell für ihre fünfzehn Minuten Ruhm ein Jahr lang jeden Morgen mit dem ersten Sonnenstrahl aufgestanden und nackt durch Haiverseuchtes Sperma geschwommen wäre. Derweil hätte sie Kindern, Rentnern und Krebspatienten die Kehlen durchtrennt und sie hinter sich hergezerrt, nur um ein Sechzig-Sekunden-Interview im Lokalradio geben zu dürfen.
    Solche Leute sind es, die du unter Vertrag nehmen willst. Du bist scharf auf diese Einstellung. Talentiert? Verpiss dich. Such dir einen Job in einem Gitarrenladen, bei all den anderen talentierten Losern.
    ***
     
    »Ich sage dir – Paul? Steve? –, das wird Piraterieprobleme mit sich bringen, die wir noch gar nicht absehen können. Die Langzeitfolgen könnten katastrophal sein. Kat-tas-trof-fal.« Irgendein Schwachkopf von unserem amerikanischen Mutterkonzern brabbelt seit zwei Wochen von nichts anderem mehr als dem Verderben, das das Internet über die Musikindustrie bringen wird. Ich sehe das nicht.
    Es ist heiß, und der Gestank von verbranntem Fleisch erfüllt die Luft. Es fühlt sich an, als wären wir in der Hölle. Es ist aber die Barbecue-Party irgendeines Verlegers in einer Hotelgrünanlage. Ganze Wildschweine, mit Barbecue-Soße begossen, dicker als geschmolzene Schokolade, knistern und tropfen über Lagerfeuern. Steaks von der Größe eines Säuglings brutzeln auf Grillrosten. Ein ganzer Schlachthof aus Rippchen liegt aufgestapelt neben silbernen Schalen voll mit Bohnenmus, Krautsalat, Pommes frites, Chicken Wings, Maisbrot, Kartoffelpüree, Chilli und Gravy. Hin und wieder dreht die kraftlose, warme Brise in meine Richtung, und der Geruch lässt mich beinahe kotzen. Jeder hier anwesende Messebesucher, der aus England kommt, ist entweder zugekokst bis zum Anschlag oder völlig verkatert. Wer sich umschaut, kann die Amis auf hundert Meter Entfernung erkennen. Sie sind diejenigen, die aussehen, als hätten sie das letzte Jahr im Bett verbracht. Sie sind sonnengebräunt, fit und ausgeruht. Und sie wollen übers Geschäft reden. Sie sind Zocker – sie glauben zumindest, dass sie es sind –, und sie sind gekommen, um zu zocken. Wir, die Briten,

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