Killashandra
hinauszuspringen. Aber da sie die leidenschaftlichen historischen Melodramen kannte, wußte sie, daß trotz der großen Qual, die sie erlebte, Selbstmord nicht in Frage kam. Außerdem durfte sie nicht den Maat, der anscheinend überhaupt nicht zu leiden schien, mit sich in den Tod reißen.
»Bringen Sie mich bitte in meine Kabine!« Sie drehte sich zu schnell um und stolperte über die Pakete im Gang. Sie mußte sich an der Schulter des Maats festhalten, um ihr Gleichgewicht wiederzufinden. Normalerweise hätte sie über ihre Ungeschicklichkeit geflucht und sich danach entschuldigt, aber fluchen war unwürdig und paßte nicht zu ihrer Stimmung. Sie nahm zwei Pakete mit dem Firmenzeichen des Lebensmittelhändlers aus dem Stapel und deutete mit einer lässigen Geste auf den Rest. »Die anderen können in meine Kabine gebracht werden, sobald es Ihnen paßt.«
Der Maat schob sich vorsichtig durch die herumlie-genden Kartons und übernahm die Führung. Sie bemerkte die Haare auf seinem Rücken, die dunklen Kör-perhaare, die unter dem ärmellosen Hemd hervorlugten.
Sie stachen durch den dünnen Stoff und standen ihm rechtwinklig vom Körper ab.
Das war überhaupt nicht mehr lustig. Ein faszinierender Aspekt des Kristallsingens, von dem man in der Ausbildung bestimmt nichts hört! Das Lehrbuch sollte umbenannt werden: >Eine kurze Einführung in das, was dich wirklich erwartet!< Eines Tages würde sie wahrscheinlich kaputt genug sein, um es aus eigener Erfahrung umschreiben zu können.
Der Maat war stehengeblieben. Er drückte sich an die Wand des Ganges und deutete auf eine offene Tür.
»Ihre Unterkunft, Kristallsängerin. Die Tür ist auf Ihren Daumenabdruck eingestellt.« Er legte den Finger auf eine Stelle über dem rechen Auge und verschwand wie von Furien gehetzt um die Ecke.
Killashandra drückte den Daumen aufs Türschloß. Sie war angenehm überrascht, als sie die Größe der Kabine bemerkte. Nicht so groß wie ihre Wohnung auf Ballybran, aber immer noch größer als das Studentenzimmer auf Fuerte und erheblich geräumiger als der Wandschrank auf dem Trundomoux-Kreuzer. Sie ließ die Tür zugleiten, versperrte sie und setzte die Pakete auf dem kleinen Schreibtisch ab. Sie untersuchte das Bett, das jetzt am Tag hochgeklappt und an der Wand gesichert war. Plötzlich wurde ihr vor Müdigkeit etwas schwindlig. Starke Gefühle sind genauso anstrengend wie das Kristallschneiden, dachte sie. Sie klappte die Pritsche herunter und streckte sich aus. Sie schluchzte und schauderte und versuchte, die verkrampften Muskeln zu lockern.
Das Summen des Kristallantriebes im Innern des Schiffes bildete einen Kontrapunkt zur Resonanz zwischen den Ohren, und beide Geräusche fuhren ihr in Wellen durch die Knochen. Zuerst entwickelte sie im Kopf zu dieser Begleitung eine Oberstimme, flocht eine eigene Melodie zwischen Baß und Alt, aber dann drängte ihr der Rhyth-mus ein dreisilbiges Wort auf: Lan-zek-ki. Sie wechselte zu einer idiotischen Dissonanz mit zwei Tönen, bis sie endlich einschlief.
Als sie nach einigen Tagen auf der Pink Tulip Sparrow das überwältigende Gefühl ihres heldenhaften Selbstopfers in den Griff bekam, schwankte Killashandra zwischen Wut auf Trag und Verzweiflung über ihren >Verlust<. Bis sie darauf kam, daß Lanzecki ihr Elend verursacht hatte — wenn er sich nicht so um ihre Zuneigung bemüht hätte, dann wären sie nicht so eng zusammen-gekommen, und sie würde jetzt nicht in einer stinkenden Badewanne von Frachter sitzen. Nun gut, vielleicht doch.
Jedenfalls dann, wenn Trag ihr in bezug auf den optherianischen Auftrag die Wahrheit gesagt hatte. Da sie sich ohnehin für unfähig hielt, zivilisiert mit der Crew oder den anderen Passagieren umzugehen, blieb sie die ganze Fahrt über in ihrer Kabine.
Im Rappahoe Transfer Point ging sie an Bord eines zweiten Frachters, neuer und weniger unangenehm als die Pink Tulip Sparrow, der für seine zehn Passagiere sogar eine Bar hatte. Acht Passagiere waren Männer, die bei ihrem Eintritt sofort aufstanden. Offenbar sahen sie auf den ersten Blick, daß sie eine Kristallsängerin war. Gleich-ermaßen offensichtlich war ihre Bereitschaft alle Hem-mungen zu vergessen und die Wahrheit darüber herauszufinden, was man sich über Kristallsänger erzählte. Drei von ihnen gaben nach einer ersten flüchtigen Berührung auf, zwei weitere beim Abendessen. Es scheint unbedeutend, wenn einem ständig die Haare zu Berge stehen, aber auch der Wassertropfen, der geduldig
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