killer country: thriller (German Edition)
Zuerst hatte sie sich gefragt, warum er sich plötzlich für Berge interessierte. Doch dann fiel ihr auf, dass er offenbar den Spuren jenes Mannes folgte, den die Zeitungen den Bergbanditen nannten. Wie niedlich, dachte sie. Er spielte Bürgerwehr. Es sei denn, er selbst war der Bergbandit. Die Vorstellung ließ sie erneut lächeln.
Sie schenkte sich ein Glas kalten Sauvignon Blanc ein und trat auf den Balkon. Am Horizont strahlte die untergehende Sonne nur noch eine schwache Wärme aus. Von unten erklangen die Stimmen der Touristen, die auf einem Boot den Sonnenuntergang bewunderten, unterwegs zur Waterfront. Einige winkten ihr zu. Sie achtete nicht darauf. Wandte sich wieder ihrem Apartment zu. Das Kaminrot der untergehenden Sonne erleuchtete das weiße Innere. Sie mochte diese Zeit des Tages, die Herbststimmungen mit einer Ahnung vom Winter.
Sie ging hinein. Steckte den iPod, den Spitz ihr geschickt hatte, in ihre Stereoanlage und scrollte die Playliste bis zu einem Abschnitt durch, den er Songs of Murder genannt hatte. Zuerst hatte sie die Musik als zu sentimental empfunden, als zu emotional. Doch nachdem sie sich alles ein zweites Mal angehört hatte, war ihr etwas aufgefallen: eine Schlichtheit, die ihr zusagte. Das waren Songs über Menschen, die nach ihren eigenen Gesetzen lebten. Die sich von ihren Herzen leiten ließen.
Das gefiel ihr.
Sheemina February drehte die Musik lauter – Love Me Someday – und machte es sich auf der Couch bequem. Sie hörte sich den Song an, eine Einladung von Jesse Sykes. Dann den nächsten. Soft Hand . Ein schneller Rhythmus, der ihren Fuß im Takt wippen ließ. Die Stimme. Voller Sex-Appeal. Von einer sanften Hand singend, die ihn langsam einführte. Sie stellte sich die Szene vor. Haut auf Haut. Mit umgedrehten Rollen. Auf ihm sitzend. Ihre Schenkel gespreizt über ihm. Sein langsames In-sie-Hineinstoßen. Seine Hände auf ihren Brüsten. Ihre Hände um seinen Hals. Wie sanft man ihn zu Tode würgen konnte. Sie sah ihn auf ihrem Laptop. Das Gesicht von Mace Bishop, das verwirrt zu ihr hinüberblickte.
Der Song war zu Ende. Sheemina February trank einen Schluck Wein. Aufgewühlt trat sie wieder hinaus. Auf dem Meer waren nun keine Schiffe mehr zu sehen. Eine Brise strich über die Wasseroberfläche. Noch immer konnte sie von Ferne die Musik hören: ein weiterer Mord, ein weiteres gebrochenes Herz. Spitz’ Hymnen. I’ll Follow You Down. He Will Call You Baby.
Sie hatte sich zuerst geärgert, als er ihr den iPod geschickt hatte. Hatte ihn angerufen. Ihn gefragt, was das solle.
»Es ist nichts«, hatte er in seinem seltsam formellen Englisch geantwortet. »Ein Geschenk, um es genau zu nehmen.«
»In Ordnung. Aber das war es dann. Verstanden?«
Wartete, dass er »Verstanden« erwidern würde.
»Ich werde mich melden«, hatte sie gesagt. »Bald.«
Und zwar früher, als sie angenommen hatte, wie sich herausstellte.
Sie wählte seine Nummer auf ihrem Handy. Das Telefon klingelte nur ein Mal.
»Alles gut«, erklärte Spitz, als er abhob. »Es gibt keinen Grund, sich Sorgen zu machen.«
»Ich habe nichts anderes erwartet«, erwiderte sie und legte wieder auf.
53
Richter Telman Visser streckte den Arm über den Tisch und löffelte dem jungen Mann Zitronensorbet in den Mund. Lächelnd, die Augen auf die seines Gegenübers gerichtet, auf seinen Personal Trainer Ricardo. Was für smaragdgrüne Augen, was für ein Name. Der junge Mann leckte das Eis vom Löffel. Mit seinem eigenen Löffel nahm er etwas von der Sorbetkugel, die auf einem Teller zwischen ihnen lag, und hielt es dem Richter hin. Dieser öffnete erwartungsfroh den Mund. Seine Zähne schimmerten speichelfeucht.
»Ein Geschmacksreiniger«, erklärte er und lehnte sich in seinem Rollstuhl zurück. Der Säure des Eises ließ er einen Schluck Riesling folgen. Ein 2001er Vintage, frisch und rein. Sein zweites Glas nach einer Vorspeise aus gegrillten Haloumi-Stücken. Eines seiner erfolgreichsten Horsd’œuvres – ein Wort, das er zweimal benutzte und perfekt französisch aussprach, während Ricardo die Teller abräumte. Der Richter berührte seine Oberlippe mit der Fingerspitze. »Sorbet«, wies er hin.
»Ah.« Der junge Mann errötete und tupfte sich hastig den Schnurrbart mit einer Stoffserviette ab.
»Und wie war es?«
»Wunderbar, Richter. Ich habe so was noch nie gegessen. Ein herrlicher Nachtisch.«
»Nicht wahr?«, erwiderte Telman Visser. Er zeigte auf die Flaschen mit Rotwein, die auf einem Sideboard
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