KillerHure
solche Untersuchung überflüssig scheint.
Georg trägt einen kleinen Kalender aus handgeschöpftem japanischem Papier in der Tasche seines Jacketts. Sehr schön, ein Palm wäre etwas schwieriger. Eine schnelle Überprüfung zeigt, dass er unser Date nicht eingetragen hat. Der Kalender muss also nicht verschwinden, er darf zurück ins Jackett. Und falls er anderswo eine Notiz hinterlassen haben sollte, dann besteht zumindest eine gewisse Chance, dass er nur »JT« anstelle von »JW« notiert hat. Schon Pech, wenn er sich die falschen Initialen merkt.
Ein letztes Telefonat.
»Hallo Susan? Eh – was? John??? Oh, Mist. Bitte entschuldige. Ich wollte meine Freundin Susan anrufen, hab wohl versehentlich deine Nummer in der Wahlwiederholung gedrückt. Sorry! Was? Ja, hat alles vollends geklappt. Das Paper liegt fix und fertig auf meinem Schreibtisch, ich kann es gleich morgen abgeben. Super, was? Ich lade dich dann noch mal auf einen Kaffee ein, als Dankeschön für deine Tipps, okay? Gut, dann dir noch einen schönen Abend und nochmals Entschuldigung für den späten Anruf. Bye!«
Danach wähle ich Susans Nummer. Da sie gerade in Italien ist, geht nur ihr Anrufbeantworter dran. Ich spreche nichts drauf. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich überhaupt verdächtigt werde, ist extrem gering, und falls doch, dann genügen die Verbindungsprotokolle als Alibi. Telefon und Internet dokumentieren unzweideutig: Ich habe den ganzen Abend in meinem Zimmer in London gearbeitet.
An der Tür betrachte ich die ganze Szene nochmals kritisch. Aus den Augen der Spuren-Spezialisten von der Police Fédérale, der das Ganze in einigen Stunden untersuchen wird.
Tathergang: Der reiche Industrielle vergnügt sich mit einer Nutte aus dem Premium-Segment bei einer Geschäftsreise weit weg von Firma und Familie. Der Freund der Nutte, von dieser kurz zuvor aus unbekanntem Grund angerufen, muss irgendwie herausgefunden haben, wo sie ist und was sie macht. Er stürzt ins Zimmer, bewaffnet mit einer Beretta unklarer Herkunft, und feuert wild drauflos. Eher zufällig trifft er beide tödlich. Danach richtet er sich selbst. Die Waffe liegt noch direkt neben seiner kalten Hand, nur seine Fingerabdrücke sind darauf zu finden. Die Tatsache, dass er einen Schalldämpfer verwendet hat, ist ein Indiz dafür, dass er seiner Freundin wohl seit längerem hinterherspionierte und die Tat langfristig geplant hatte. Der Selbstmord war dagegen wohl eine Kurzschlussreaktion. Begräbnis. Trauernde Angehörige. Ausbezahlte Lebensversicherungen. Keine Fragen mehr offen. Akte geschlossen.
Ich verlasse das Hotel durch einen Nebenausgang hinten in der Tiefgarage. Zwei Straßen weiter wartet der Mazda mit Kindersitz, den ich heute Morgen im Parkhaus des Amsterdamer Flughafens Schiphol geknackt habe, als sein Motor noch warm war. Bald wird er zurück sein, und sein Besitzer, gerade in der Türkei oder auf den Seychellen, wird überhaupt nicht merken, dass ich mir sein Auto ausgeliehen hatte. Sofern er kein penibles Fahrtenbuch mit Kilometerständen führt, aber solche Restunsicherheiten bleiben immer.
Auf dem Rückweg nach Amsterdam entsorge ich das weiße Kleid in einem randvollen Abfallcontainer auf einem Autobahnparkplatz. Der Chip aus dem Prepaid zerschmurgelt stinkend in der Flamme meines Feuerzeugs, das Handy selbst fliegt blank poliert tief in die Büsche. Auch die Speicherkarte aus der Casio wird so vernichtet, die Fotos waren nur ein Vorwand, um Georg und Denise ruhig zu stellen. Dann noch zwei Stunden Fahrtzeit. Hell erleuchtete Asphaltbänder, hässliche Betonbrücken, graugelb schimmernde Werbeschilder.
Die ganze Zeit bin ich gesammelt, methodisch, kühl. Gehe erprobten Routinen nach. Denke an jedes Detail. Der ziehende, leicht süße Schmerz in meinem Unterleib und in meiner Brust stellt eine wertvolle Verbindung zur Realität, zu meiner Körperlichkeit, dar und hält mich wach und präsent.
Schiphol, Parkhaus Nummer zwei.
Den Mazda abstellen. Derselbe Parkplatz ist noch frei, gut.
Meinen Wagen zwei Stockwerke darüber holen. Ein steinalter, roter Corsa. Typische Studentenkutsche.
Heimfahren zu meinem Hotelzimmer im Amsterdamer Zentrum.
Duschen. Lange und ausgiebig.
Eine Dosensuppe kochen. Auslöffeln.
Auf das schmale Bett setzen.
Warten.
Warten.
Warten ...
Der Anfall kommt gegen fünf Uhr früh. Mit eruptiver Macht quetscht etwas meine Kehle zusammen und zwingt mich in eine qualvolle Embryonalstellung. Das seltsame Wimmern hört sich eher an,
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