Killerinstinkt: Serienmördern auf der Spur (German Edition)
signalisiert Thomas Bracht eine generelle Aussagebereitschaft. Die Kripo geht mit ihm daraufhin eine Liste von gut fünfzig Patienten durch, die in der jüngeren Vergangenheit während seiner Dienstzeit plötzlich und unter unklaren Umständen gestorben sind. Und immer wieder sagt der Beschuldigte, wenn ihm ein Name genannt wird: »Ja, das war ich auch.« Am Ende hat die Kripo eine zweistellige Zahl von getöteten Patienten auf ihrer Liste.
Nach langwierigen Ermittlungen kommt es zum Prozess. Die Staatsanwaltschaft wirft Thomas Bracht vielfachen Mord vor, weil er sich »als Herrscher über Leben und Tod« der Patienten aufgespielt habe. Allerdings lässt sich diese Einschätzung in der Hauptverhandlung nicht untermauern. Vielmehr zeichnen die Aussagen von Zeugen und Angeklagtem, der zwar nicht die ihm vorgeworfenen Tötungen, jedoch entschieden die Mordabsicht bestreitet, ein unklares Bild: Thomas Bracht hat Patienten vorsätzlich getötet, allerdings ohne feindselige Gesinnung und ohne Vorteil für sich selbst. Niemandem gelingt es, ein Motiv zu ergründen, auch mehreren psychiatrischen Gutachtern nicht. Und auch der Angeklagte selbst weiß nicht, warum er so gehandelt hat – das jedenfalls hat er immer wieder gebetsmühlenartig betont. Demzufolge wird Thomas Bracht nicht wegen vielfachen Mordes, sondern wegen Totschlags verurteilt. Unter dem Strich ein unbefriedigendes Ergebnis, das alle Prozessbeteiligten ratlos zurücklässt.
Bei meinen Untersuchungen zu Serienmorden lege ich stets ein besonderes Augenmerk auf solche Fälle, die eine oder mehrere markante Leerstellen erkennen lassen. Dort fühle ich mich gefordert, vielleicht auch herausgefordert. Wie im Fall Thomas Bracht. Ich wollte herausfinden, wie und vor allem warum dieser Mann zu einer Gefahr für – ausgerechnet – seine eigenen Patienten werden konnte. Dass es bisher niemandem gelungen war, dieses Geheimnis zu lüften, spornte mich zusätzlich an.
Im März 1997 schrieb ich ihm einen längeren Brief und bat um sein Einverständnis, vor einem Gespräch zunächst Einsicht in die Gerichtsakten nehmen zu dürfen. Anderthalb Wochen später erhielt ich eine Antwort: »(…) Ihren Brief sowie die Fallbeschreibung Ihrer Studie habe ich erhalten und aufmerksam gelesen. Trotz Ihrer mehrmaligen Versicherung, alles würde streng anonym und vertraulich behandelt, bin ich nicht bereit, Ihnen die Genehmigung zur Einsicht in meine Verfahrensakten zu geben. Zu Ihrer Information: Vor einiger Zeit ist schon mal ein Arzt mit einer ähnlichen Bitte an mich herangetreten. Auch ihm habe ich die Einsichtnahme in meine Akten nicht gestattet. Dieser Mensch meinte dann, er könne per Gerichtsentscheid eine Einsichtnahme erzwingen. Allerdings stand er mit seiner Meinung wohl ziemlich alleine da, denn auch das Oberlandesgericht hat seinen Antrag zurückgewiesen. Ich hoffe, dass Sie meine Entscheidung auch so akzeptieren. (…)«
Genau das tat ich auch. Ich legte den Fall zunächst ad acta. Im Laufe der nächsten Jahre machte ich jedoch im Umgang mit Serienmördern die Erfahrung, dass mitunter viel Zeit ins Land gehen muss, bevor Häftlinge wie Thomas Bracht umdenken und sich zu einem Gespräch bereit erklären. Häufig hat dieser Sinneswandel mit Therapieerfolgen zu tun, nicht selten aber auch mit meiner Beharrlichkeit, die Flinte eben nicht gleich ins Korn zu werfen, sondern mich in regelmäßigen Abständen bei dem Gefangenen in Erinnerung zu bringen.
In diesem Fall vergingen elf Jahre, bevor ich den Täter besuchen und interviewen durfte. Schon beim ersten Gespräch zeigte Thomas Bracht ein vollkommen verändertes Verhalten: Er war einverstanden, mit mir über alles zu reden, insbesondere über die Taten und deren motivischen Hintergrund. Mir saß ein Mensch gegenüber, der offenkundig willens war, sich und sein Handeln selbst zu hinterfragen und hinterfragen zu lassen. Eine Seltenheit bei solchen emotional sehr belastenden Gesprächen.
Insgesamt ergab sich für mich das Bild eines Mannes, der für andere erst durch die falsche Berufswahl zu einer Gefahr geworden war. Das Arbeitsumfeld, in das er geraten war, hatte ihn – schon vorher sozial ausgegrenzt, geringgeschätzt, konfliktscheu, überfordert – geradezu beharrlich mit seinen eigenen Schwächen und seelischen Deformationen konfrontiert. Nur gelang es mir letztlich nicht, mit ihm herauszuarbeiten, aus welchem Grund er die Patienten getötet hatte. Auch bei einem weiteren Gespräch etwa ein Jahr später kamen wir
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