Killerinstinkt: Serienmördern auf der Spur (German Edition)
Ihren Opfern genommen, was Sie wollten …«
Joachim Mattock verschränkt die Arme und schaut mich an, als wäre ich plötzlich jemand anderer. Mir ist klar, was diese Geste bedeutet: Darüber will er nicht reden. Also frage ich auch nicht weiter nach.
»Die Kameradschaft im Knast hat Ihnen ein gutes Gefühl gegeben?«
»Ja, ich sag’s mal so: Das war wie eine Ersatzfamilie. Die mochten mich, ich mochte die. Das war jetzt meine Welt, weil ich da akzeptiert wurde.«
»Und das hat Ihnen Freude gemacht?«
»Das kann man so sagen, ja. Deshalb hab ich mich auch gegen die Erzieher aufgelehnt. Arrest hat mir nichts ausgemacht. Ich wusste ja, dass ich wieder rauskomme. Außerdem brauchte ich beim Arrest nicht zu arbeiten.«
»Wie war das, als Sie aus dem Gefängnis entlassen wurden – haben Sie danach soziale Kontakte knüpfen können? Sie waren doch jetzt in einem Alter, in dem man sich für Mädchen bzw. Frauen interessiert …«
»Ja, aber …«
Joachim Mattock spricht jetzt plötzlich ganz leise und zögert einen Moment.
»Ich und jemanden ansprechen, das ging nicht.«
»Wovor hatten Sie Angst?«
»Weiß nicht.«
»Sie brauchen sich vor mir nicht zu schämen …«
»Vor Ablehnung oder so: Der ist tätowiert, das ist ein Knacki.«
»Sie hätten doch mal in eine Diskothek gehen können, da lernt man schnell jemand kennen …«
»Ich geh doch nicht in eine Disko. Wie soll ich mich da verhalten? Tanzen kann ich nicht.«
»Also haben Sie sich nicht getraut?«
Keine Antwort.
»Aber Sie hatten doch bestimmt das Bedürfnis, eine Frau mal näher kennenzulernen …«
»Aber ich hätte denen ja auch was von mir erzählen müssen. Was hätte ich denen erzählen sollen? Von meiner Knasterfahrung? Nee, das ging einfach nicht.«
»Okay, das verstehe ich. Aber andererseits konnten auch Sie nicht Frauen permanent aus dem Weg gehen. Frauen sind ein fester Bestandteil unseres sozialen Lebens …«
»Das stimmt.«
»Hatten Sie Angst vor Frauen?«
Joachim Mattock pfeift durch die Zähne. »Ja, auch.«
»Wovor haben Sie sich gefürchtet?«
»Ja … Wie soll ich mich verhalten? Ich hab einfach alle Angebote abgelehnt.«
»Angebote?«
»Wenn ich mal zum Grillen eingeladen war. Da bin ich erst gar nicht hingegangen. Ich wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte – das war’s.«
Da ich mit Joachim Mattock auch über seine Taten sprechen will, er aber nicht direkt darauf angesprochen werden möchte, versuche ich es jetzt durch die Hintertür. Bei meinen Recherchen habe ich erfahren, dass er beim ersten Mord in der DDR einen Schlüsselbund des Opfers mitgenommen hat. »Die Sache mit der jungen Frau in Gera. Was wollten Sie denn damals eigentlich mit dem Schlüssel?«
»Weiß ich nicht.«
»Das wissen Sie nicht?«
»Nee, weiß ich nicht.«
Joachim Mattock verweigert sich auch diesmal. Um die Gesprächsatmosphäre nicht noch weiter zu belasten, wechsle ich das Thema.
»Wie haben Ihre Eltern auf die Sache mit der jungen Frau reagiert?«
»Die kannten mich nicht mehr. Von denen hab ich nur einen Brief gekriegt, wie ich so was nur machen kann, ich soll mich doch wegmachen …«
»Ihre Eltern haben Ihnen nahegelegt, Selbstmord zu begehen?«
»Ja, so ungefähr. Das kannst du doch nicht aushalten, haben sie geschrieben. Danach kam nichts mehr.«
»Was hat der Brief in Ihnen ausgelöst?«
»Nix. Das Verhältnis war sowieso bei null.«
Joachim Mattock macht einen deprimierten Eindruck. Um ihn ein wenig aufzumuntern, spreche ich ihn auf eine seiner Tätowierungen an.
»Das da auf Ihrem Arm ist ja ein Bundesadler. Durften Sie denn zu DDR-Zeiten so etwas tragen?«
»Nee. Aber ich hab das trotzdem gemacht, um die Erzieher im Knast zu ärgern. Die wollten auch, dass ich das wieder wegmache. Hab ich aber nicht.«
Gefängnis – ein gutes Stichwort. Ich versuche abermals, ihn behutsam in Richtung der Tötungen zu manövrieren.
»Als Sie damals wegen der ersten Tat festgenommen wurden – wie haben Sie sich da gefühlt?«
»Erleichterung.«
»Erleichterung?«
»Ja, weil ich wieder in ein Umfeld reinkam, wo ich klarkomme, wo ich akzeptiert bin und nicht so alleine. Alles andere hat mich gar nicht interessiert. Draußen hatte ich ja niemand. Drinnen hatte ich meine Jungs, wir waren eine Truppe.«
In den nächsten Minuten lasse ich mir seine Erfahrungen bei der Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht in Gera schildern. Ein Psychologe hatte ihn einige Wochen zuvor begutachtet, das Gespräch dauerte aber nur
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