Killerinstinkt: Serienmördern auf der Spur (German Edition)
seinem Leben geraten sind und seine Mutter dabei eine große Rolle spielen dürfte. Ich frage aber nicht nach, sondern lasse ihn zunächst gewähren, um herauszufinden, wie er mit dieser Gesprächssituation umgeht. Nach einer kurzen Zeit des gemeinsamen Schweigens lächelt er mich verlegen an.
»Keine Erinnerung mehr an die eigene Familie?«
»Familienmäßig ist da fast alles weg.«
»Weil Sie sich nicht mehr damit beschäftigen möchten?«
»Ich wollte das vergessen. Ich habe ja auch keinen Kontakt mehr zu meiner Familie.«
Joachim Mattock pfeift durch die Zähne. Das wird er in der Folgezeit immer dann tun, wenn ihm etwas besonders nahegeht.
»Ich vermute, dass Ihnen als Kind übel mitgespielt wurde. Können Sie mir ein Beispiel geben?«
»Ich wollte einen Hund haben, da war ich 6 Jahre alt. Meine Eltern wollten das aber nicht. Da hab ich mir trotzdem einen besorgt und auf dem Dachboden versteckt. Dann haben sie es rausgekriegt, und mein Vater hat den Hund genommen und – puff!«
»Puff?«
»Geköpft.«
Joachim Mattock schaut mich mit weit aufgerissenen Augen erwartungsvoll an und sagt nichts. Ich nicke nur kurz, signalisiere aber Mitgefühl. Nachdem er seine Bestätigung bekommen hat, spricht er weiter.
»Totgemacht hat er meinen Hund. Für mich gab’s dann auch noch ordentlich Prügel und Stubenarrest.«
»Sind Sie häufiger geschlagen worden?«
»Ja, mit einem Knüppel und einer Riemenpeitsche.«
»Was haben Sie dabei empfunden?«
»Am Anfang Schmerz und irgendwann gar nichts mehr, nur noch Hass. Ich habe meine Eltern gehasst.«
Häufig reagieren Kinder oder Jugendliche, die von ihren Eltern regelmäßig geschlagen werden, nicht nur mit einem inneren Rückzug, sondern grenzen sich auch gegenüber ihrem sozialen Umfeld ab. Ich frage ihn danach.
»Ja, ich bin so zum Einzelgänger geworden. Ich hab mich keinem anvertraut.«
»Das geht aber nicht von heute auf morgen. Da vollzieht sich ein Prozess. Können Sie diesen Verlauf beschreiben?«
»Im Kindergarten ging es ja noch. Aber in der Schule habe ich nur noch Sachen gemacht, die ich nicht machen sollte.«
Er überlegt einen Moment.
»Also ich bin immer negativ aufgefallen, hab mich von der Klasse abgesondert. Wenn ich dachte, ich hätte einen guten Kumpel, dann waren meine Eltern dagegen oder seine Eltern.«
Joachim Mattock erzählt mir auf Nachfrage, dass er ohne Hausaufgaben in die Schule kam, im Unterricht störte, nach der Schule nicht nach Hause ging und schließlich auch stunden- oder gar tageweise schwänzte. Und obwohl er sich jedes Mal vor den überaus drastischen Reaktionen und Sanktionen der Eltern gefürchtet hat, fiel er immer wieder in strafbewehrte Verhaltensmuster zurück. Ich frage ihn nicht, warum er sich so verhalten hat, sondern nach seinen damaligen Empfindungen.
»Weiß nicht.«
Wieder bemüht er sich eher verkrampft, seine Verlegenheit wegzulächeln. Ich versuche es auf einem anderen Weg und erzähle ihm, dass meine Eltern – besonders mein beruflich sehr erfolgreicher Vater – für mich als Kind Vorbilder gewesen seien, denen ich nacheifern wollte.
Er macht wieder dieses charakteristische Pfeifgeräusch, bevor er spontan antwortet.
»Mein Vater war in der Kneipe, meine Mutter hat sich um die Familie und den Garten gekümmert. Es gab keine Freizeit, auch für uns Kinder nicht. Wenn ich von der Schule nach Hause kam, ging’s ab in den Garten, Unkraut rupfen. Und abends musste der Vater aus der Kneipe geholt werden. Der wollte aber nicht, ich musste mich immer erst mal hinsetzen und warten und warten. Irgendwann ging’s ab nach Hause, und dann hat meine Mutter meinem Vater erzählt, was ich alles ausgefressen hab. Da war das Theater groß …«
Ich bin Joachim Mattock offenbar einen Schritt nähergekommen: Erstmals hat er flüssig erzählt.
»Haben Sie Ihrer Mutter übelgenommen, dass sie Ihrem Vater gegenüber gepetzt hat?«
»Ja, schon. Das war ein Vertrauensbruch. Ich hab sie nicht mehr als Mutter gesehen – sondern als Drachen, Hausdrachen.«
Ich komme jetzt auf einen Aspekt zurück, bei dem Joachim Mattock sich eben nicht öffnen wollte: seine Empfindungen als Kind, wenn er sich den elterlichen und schulischen Vorgaben widersetzt hat.
»Ich hab gedacht, mich mag keiner. Ich bin fehl am Platze. Vielleicht wollte ich Aufmerksamkeit erregen: Hallo, ich bin auch noch da!«
Ungefragt berichtet er mir von einem Mädchen aus der Nachbarschaft, mit dem er sich in der Schule angefreundet hat. Sie war ihm
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