Killerinstinkt: Serienmördern auf der Spur (German Edition)
eine knappe Stunde und verlief aus Sicht des Begutachteten eher oberflächlich. Nach nur zwei Verhandlungstagen wurde er schließlich zu lebenslanger Haft verurteilt.
Während des Strafvollzugs arbeitete er im Schichtsystem als Dreher. Im Übrigen beschäftigte er sich in erster Linie damit, selbstgemachte Spirituosen an andere Gefangene zu verkaufen. Mit seiner Tat wurde er während des Vollzugs nicht konfrontiert, eine Therapie fand auch nicht statt.
»Da geht man als Dieb rein und kommt als Mörder raus. Es gab im Knast keinen Psychologen. Wenn es Probleme gab, hatte man das auszuhalten. Da wird man schmerzunempfindlich, kaltblütig. Wenn ich mit dem Gummiknüppel geschlagen wurde, hab ich nur gegrinst – bloß keine Schwäche zeigen. Da wirst du richtig kalt. Im Endeffekt zählen andere Menschen nichts mehr. Ich bin ja dadurch immer schlimmer geworden: Nötigung, versuchte Vergewaltigung, Vergewaltigung, versuchter Mord, Mord.«
»Wie würden Sie sich zum damaligen Zeitpunkt charakterisieren?«
Joachim Mattock schaut mich verwundert an, lächelt und kommt ins Grübeln.
»Weiß nicht.«
Ich hake diesmal nicht nach, sondern lasse ihn gewähren. Nach einer längeren Zeit des Schweigens sagt er doch noch etwas.
»Charakterisieren, ja, so: Verbrecher.«
»Was hat Sie denn als Verbrecher ausgezeichnet?«
»Mein Wille. Das, was ich haben will, das, was ich machen will, das zählt. Alles andere zählt nicht.«
»Aber Sie haben sich doch in der Knastgemeinschaft in gewisser Weise unterordnen müssen. Da gab es doch Regeln, die …«
Er unterbricht mich.
»Ich hab mich nur an meine eigenen Regeln gehalten. Damals konnte ich mich schon ganz gut durchsetzen und habe meine Regeln aufgestellt. Sonst war da nichts.«
»Gab es für Sie in der Zeit als Kind, Jugendlicher oder Heranwachsender Menschen, die Ihnen besonders imponiert haben – Vorbilder?«
»Ja, im Knast. Da gab es Leute, die hatten die gleiche Strafe wie ich: Mörder. Ich bin doch im Knast groß geworden …«
»Und warum haben Ihnen gerade die Leute imponiert, die mächtig was auf dem Kerbholz hatten?«
»Die waren im Endeffekt so wie ich. Nur dachte ich, dass ich ein bisschen schlauer bin als die.«
»Gab es denn außerhalb dieser kriminellen Welt Personen, die Sie toll fanden?«
Joachim Mattock pfeift wieder durch seine prächtige Zahnlücke, bevor er antwortet. »Nee. Nix. Die Kontakte waren ja weg. Da war keiner. Ich war allein.«
Als Nächstes spreche ich ihn auf das Messer an, das er bei seinem ersten Mord benutzt hat. Mit der Erwähnung eines solchen konkreten Gegenstands möchte ich es ihm erleichtern, sich dem Tatgeschehen gedanklich zu nähern, ohne dass er gleich wieder dichtmacht. Vielleicht gelingt es mir diesmal, ihn dorthin zu führen.
»Ich möchte jetzt einen anderen Aspekt ansprechen. Was haben Sie nach der Sache in Gera mit dem Messer gemacht?«
»Behalten.«
»Sie hätten zwischen verschiedenen Tötungsarten wählen können – warum haben Sie ein Messer genommen?«
»Weiß ich nicht mehr.«
»Das glaube ich Ihnen nicht!«
»Weil ich ein Messer dabeihatte.«
»Aber die Entscheidung, ein Messer bei der Opfersuche mitzunehmen, haben Sie viel früher getroffen …«
Keine Antwort.
»Sie hätten doch auch einen Knüppel oder eine Pistole benutzen können …«
»Nee. Pistole hört man. Knüppel dauert zu lange.«
»Also doch eine bewusste Entscheidung?«
»Nehme ich mal an.«
Abermals beiße ich auf Granit und verwerfe das Thema. Als ich Joachim Mattock nach den Gründen für seine Entlassung im Jahr 1991 frage, taut er wieder auf. Er erzählt mir, dass nach der Wiedervereinigung alle Akten der ehemaligen DDR-Häftlinge überprüft und neu bewertet wurden und man in seinem Fall eine wesentlich kürzere Verbüßungsdauer festgelegt hat – mit für ihn überraschenden Konsequenzen.
»Zwei Wochen vor Pfingsten war das, da kam ein Wärter in meine Zelle und sagte: ›Komm, Entlassung.‹ Da hab ich mich hingesetzt und gesagt: ›Du kannst mich mal. Ich hab draußen niemand. Wo soll ich freitags um drei hin? Ich hab weder eine Wohnung noch Arbeit.‹ Über Pfingsten durfte ich noch bleiben, dann musste ich aber raus. Das war schrecklich.«
»Sie kamen endlich frei und fanden das schrecklich?«
»Ich musste erst mal zum Sozialamt, hab mich aber nicht reingetraut. Erst als ich einen Knastkumpel getroffen hab, der mir das erklärt hat, bin ich da wieder hin. Die haben mir was von einem Recht auf Wohnraum erzählt,
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