Killerspiel
ganze Gebilde an Willensanstrengung, inneren Kämpfen und Selbstverleugnung vor seinem unaufmerksamen Auge wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt.
Vielleicht widerfahren uns ja
alle
Arten von Schmerz und Enttäuschung im Leben nur, weil wir sie anziehen, weil wir entsprechende Rezeptoren haben, die nur darauf warten.
Vielleicht sollte ich einfach eine Scheißzigarette rauchen, und das war’s.
Ich drehte mich zu den Damen um, hatte schon die Frage auf den Lippen, ob ich eine von ihnen schnorren könne. Doch ich hielt den Mund.
Stattdessen drehte ich mich – nicht triumphierend, sondern mit ein bisschen Wehmut wieder zu meinem Tisch um. Zum Glück kam mein Bier, und ich trank dafür das halbe Glas in einem Zug leer. Die andere Hälfte folgte schnell, und so bestellte ich ein zweites.
So ging es dann weiter, und Steph rief immer noch nicht an.
Eine Stunde später war ich beim vierten Bier und begriff, dass ich es besser dabei bewenden ließ. Die Sonne ging bereits unter, trotzdem wurde die Luft schwüler. Inzwischen saß kaum noch jemand auf der Terrasse. Auch die Raucher nebenan waren verschwunden, was mir ein bisschen dabei half, wieder halbwegs klar zu denken – und mich an etwas zu erinnern, das Kevin beim Mittagessen gesagt hatte: Physischer Zugriff auf meinen Laptop, hatte er betont, sei die leichteste Erklärung für alles, was passiert war; es müsse folglich eine Person geben, die sehr einfach an meine Passwörter und/oder mein Konto gelangen konnte.
Stephanie. Natürlich.
Die Idee hielt bei den Fotos nicht länger stand. Sicher, Stephanie hätte sie rein theoretisch auf meinem Laptop speichern können. Sie hätte sie vielleicht sogar selber knipsen können.
Aber wozu? Wozu sollte sie mir wegen etwas, das ich nicht getan hatte, die Hölle heißmachen? Dass David Warner die Sache in Szene gesetzt hatte, war unerklärlich genug, dass Steph dahinterstecken sollte, schier unglaublich, und es deutete auch nichts darauf hin … auch wenn ich mir genauso wenig vorstellen konnte, wie Warner die Ordner auf meinem Computer hätte speichern sollen. Ich verstand nicht genug von der Technik, um beurteilen zu können, wie wahrscheinlich es war, dass jemand sich externen Zugriff auf meine Festplatte verschaffen und Dateien darauf abladen konnte. Ich begriff, wie herzlich wenig ich von den Möglichkeiten und Grenzen einer Technologie verstand, der ich ganz unbeschwert die Kontrolle über mein Leben anvertraute. Früher einmal hatte Identität etwas mit dem Gesicht oder wenigstens der Unterschrift einer Person zu tun. Jetzt war es eine Ansammlung von Passwörtern, die man jeweils mit weniger Bedacht wählte als den Namen für ein Haustier. Finde mein Passwort heraus, sei
ich
– zumindest funktionell –, und schon sind wir, was wir tun oder getan zu haben scheinen.
Ich fasste es nicht, dass ich auch nur einen Moment lang so etwas über meine Frau denken konnte. Der Alkohol machte mich müde und reizbar, und ich geriet immer tiefer in den Sumpf von Ängsten, die an Panik grenzten. Es hatte keinen Sinn, länger hier herumzusitzen, schon gar nicht, wo ich mit dem Wagen gekommen war und bereits jetzt zu viel intus hatte. Ich rief nach der Kellnerin und ging dann auf die Toilette.
Auf dem Weg zurück durch die Bar wählte ich noch einmal Stephs Nummer, bekam aber wieder keine Antwort. Es war halb neun. Als ich die Verbindung unterbrach, traf ich von einer Sekunde zur anderen eine Entscheidung. Ich würde Karren Whites Ratschlag befolgen und die Cops anrufen – ihnen sagen, ich hätte gehört, dass sie mich sprechen wollten. Und wenn wir uns dann trafen, würde ich die Tatsache erwähnen, dass ich den ganzen Tag nichts von meiner Frau gehört hatte. Ihre Reaktion, die hoffentlich besonnene Reaktion, würde mich vielleicht ein wenig beruhigen.
Ich klopfte mir innerlich auf die Schulter … und griff nach meiner Brieftasche, in der sich Deputy Hallams Karte befand. Als ich zufällig aufschaute, sah ich, wie ein Kellner ein Tablett mit meiner Rechnung auf den Tisch stellte, an dem ich gesessen hatte.
Hinter ihm sah ich, auf der anderen Straßenseite, einen Mann vorbeikommen.
Es war David Warner.
21
B innen zwei Sekunden wechselte ich aus meiner Starre in einen Sprint. Als ich von der Terrasse des Lokals rannte, hörte ich, wie der Kellner mir etwas hinterherbrüllte, doch für die Rechnung war in meinem Kopf kein Platz.
David Warner ging die andere Straßenseite entlang. Er trug sogar dieselbe Jacke
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