Killerspiel
Vorstandsvorsitzender eines richtig großen Unternehmens gewesen, das es in der vorletzten Rezession kalt erwischt hatte. Er verlor nicht nur alles, was er sich aufgebaut hatte, sondern zu allem Überfluss war auch noch sein ganzer Haufen Aktienanteile mit einem Schlag wertlos. Er kam damit nicht zurecht. Er fing zu trinken an. Er war im Arsch. Irgendwann kehrte er unter die Lebenden zurück, doch als völlig gebrochener Mann. Manche Menschen schaffen es recht gut, sich irgendwie zu behelfen, sich ein paar Nummern kleiner einzurichten und neu anzufangen. Dieser Mann schaffte das nicht, und Stephanie, die bis dahin alles gehabt hatte, was man für Geld kaufen kann, wurde von einem Mann, der wie lebendig begraben war, tagtäglich daran erinnert, was man sich nicht dafür kaufen konnte. Unterdessen verkaufte mein Dad den Leuten Farbe, und der Laden brachte so viel ein, dass die Familie damit über die Runden kam, wenn auch nie viel mehr als das.
In unserem zweiten Studienjahr kreuzten sich unsere Pfade dann doch. Wir brauchten eine ganze Weile, bis wir zusammen waren, was an einem Ort und in einer Zeit, als die Leute schnell miteinander in die Kiste sprangen und sich doppelt so schnell wieder vergaßen, eher ungewöhnlich war. Anfänglich gingen wir einander sogar ziemlich auf die Nerven und waren einfach noch zu jung, um zu begreifen, was das höchstwahrscheinlich hieß. Auf irgendeiner Saufparty in einem ramponierten Haus, das sich Freunde am Stadtrand teilten, waren wir ziemlich besoffen, und dann fiel bei uns beiden endlich der Groschen.
Wir beobachteten zusammen im Garten den Sonnenaufgang, zitterten unter derselben Decke, hielten Händchen. Im Morgengrauen liefen wir in die Stadt zurück, und als wir uns trennen mussten, um zu unserem jeweiligen Zuhause zu gehen, überließ ich ihr die Decke. Sie hat sie eine ganze Weile behalten. Sie hat sie sogar in unserer Hochzeitsnacht aufs Bett gelegt. Vielleicht hat sie sie immer noch, auch wenn ich keine Ahnung habe, wo.
Von da an waren wir zusammen. In unserem letzten Jahr verließ Stephs Dad ihre Mom und sie – verließ, genauer gesagt, alles. Er ging eines Tages weg und kehrte nie zurück. Ja, das kommt tatsächlich im echten Leben vor. Sechs Wochen später hatte sie Geburtstag. Das Einzige, was ihr Vater noch in Ehren gehalten hatte, nachdem er sich nicht mehr allzu viel Mühe gab zu kaschieren, dass ihm alles am Arsch vorbeiging, war Stephs Geburtstag. Ihre ganzen Teenagerjahre hindurch und sogar die ersten beiden Jahre am College kamen er und ihre Mom eigens aus Virginia raufgefahren, führten sie irgendwo zum Essen aus und überreichten ihr ein richtig tolles Geschenk. Und obwohl das bei Steph immer zwiespältige Gefühle auslöste, als ihr bewusst wurde, dass die häuslichen Finanzen ihrer Eltern aufgrund dieser Freigebigkeit für Monate in Schieflage gerieten, zeichnete es diesen Tag aus, so dass er zum festen Bestandteil eines jeden neuen Lebensjahrs wurde. Es war das greifbare Zeichen der Liebe, die ihr Dad zu ihr empfand. Im zweiten Jahr war ich dabei, und man sah, dass es dem Mann ziemlich übel ging, doch man sah auch die Liebe zu seiner Tochter. Eine glühende Liebe.
Aber jetzt war er weg. In den sechs Wochen seit seinem Verschwinden hatte weder Stephanie noch ihre Mom irgendeinen Anruf, einen Brief oder eine E-Mail erhalten – nichts. Der Kerl drehte einfach durch, kappte die Verbindung, ging auf Tauchstation. Die Woche vor ihrem Geburtstag verbrachte ich in dem Wissen, dass Steph immer noch glaubte, zu ihrem Geburtstag würde irgendetwas passieren, und dieser traurige, schlimme Alptraum wäre zu Ende. Dass sie eine Karte, ein Geschenk – etwas Billiges, Triviales, völlig egal, was – in der Post finden würde, dass sie vielleicht sogar in dem Haus, das sie sich mit vier anderen Mädchen teilte, am Fenster sitzen und plötzlich sein Wagen vorfahren würde.
Der Tag kam.
Keine Postkarte, kein Geschenk.
Sie saß am Fenster, und er kam nicht.
Ich war nicht bei ihr. Wir jobbten beide während des ganzen Studiums und kamen mehr schlecht als recht über die Runden. Zu dieser Zeit hatte ich gerade einen der miesesten Hilfsarbeiterjobs beim Entrümpeln des Kellergeschosses einer hiesigen Fabrik, und der Kerl gab mir den Abend nicht frei. Er wusste genau, dass es reichlich andere Deppen gab, die gerne in meine Fußstapfen getreten wären. Ich konnte es mir nicht leisten, die Arbeit zu verlieren, was Steph wusste und auch nie zugelassen hätte. Ich
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