Killervirus - Gerber, R: Killervirus - Heartstopper
allgemeiner Konsens in Hackerkreisen.
Jack fragte sich, ob sie wohl etwas mit MafiaBoy zu tun hatte, jenem berüchtigten Teenager aus Kanada, der Dell, E*Trade und eBay mit Denial-of-Service-Attacken lahmgelegt und so einen Gesamtschaden von über einer Milliarde Dollar verursacht hatte. Vielleicht war sie ja nur der weibliche Nickname von MafiaBoy, auch wenn sie immer
behauptete, dass sie mit ihrer Hackerei keinen Schaden anrichten wolle.
Natürlich wäre es Jack lieber gewesen, wenn sich hinter diesem Pseudonym ein weibliches Wesen verbergen würde, ein Lara-Croft-ähnliches Mädchen mit langen, schwarzen Haaren, glatter Haut und so straffen Brüsten wie Dr. Angie Howlett, die er mehr als einmal ebenso verstohlen wie bewundernd gemustert hatte. Aber bei seinem Glück war MafiaGrrl entweder eine total unattraktive Computerbraut oder, noch schlimmer, ein pickeliger, männlicher Teenager wie er oder schlimmstenfalls ein bierbäuchiger, pensionierter IBM-Ingenieur mit Raucherhusten und gelben Zähnen. In Hackerkreisen interessierte es niemanden, wie man aussah, da war es nur wichtig, was für einen Code man schrieb.
Als wäre es Gedankenübertragung, fing Jacks Logon im IRC Chatroom auf einmal zu blinken an.
IRC oder Internet Relay Chat war ein weltweites Diskussionsforum, in dem man Gruppendiskussionen aber auch private Gespräche zwischen zwei Usern führen Konnte. Hacker verwendeten es gerne, weil es einen gewissen Schutz vor allzu neugierigen Strafverfolgungsbehörden bot.
[MAFIAGRRL]: JaHa, bist du da?
[JAHA]: Warte schon ewig auf dich. Was rausgefunden?
[MAFIAGRRL]: Leider nein. Der Code ist verdammt tark. Was ist das für ein Zeug?
[JAHA]: Keine Ahnung. Mache gerade eine Brute-Force-Attacke, seit fünf Stunden negativ.
[MAFIAGRRL]: Harte Nuss. Wo hast du es her?
[JAHA]: Aus einem Firmennetzwerk. AMT in Richmond, VA. American Medical Testing.
[MAFIAGRRL]: Gute oder Böse?
[JAHA]: Böse.
[MAFIAGRRL]: Pass auf dich auf, Jack!
[JAHA]: Klar doch.
[MAFIAGRRL]: Wenn du Hilfe brauchst, melde dich!
[JAHA]: Mach ich.
[MAFIAGRRL]: Versprochen?
[JAHA]: Versprochen. CUL8R
[MAFIAGRRL]: CU:-)
Jack loggte sich aus, und sein Herz schlug auf einmal schneller. Noch nie war MafiaGrrl so um sein Wohl besorgt gewesen und noch nie hatte sie einen Chat mit einem Smiley abgeschlossen. Eigentlich hätte er sich darüber freuen sollen, aber letzten Endes überwog doch die Enttäuschung, dass sie ihm beim Knacken des Codes nicht hatte helfen können. Wenn sie das nicht konnte, wer dann?
Jack nahm einen Schluck von der Cola, die Angie ihm
auf den Schreibtisch gestellt hatte, bevor sie fortgegangen war, um nach seinem Vater zu sehen. Was sollte er jetzt bloß tun? Aufgeben und Angie und seinem Vater gestehen, dass es mit seinen Hackerkünsten doch nicht so weit her war, wie er immer sagte? Und was sollten die beiden machen, wenn es ihm nicht gelang, ihnen die Beweise zu liefern, die sie so dringend benötigten? Jack stellte das Glas beiseite und dachte nach. Wie kam man an ein Passwort, das zu kompliziert war, um es zu erraten oder durch bloßes Ausprobieren zu knacken? Ganz klar: Man musste sich auf die größte Schwachstelle konzentrieren, die es in jedem System gab: den Menschen. Was taten Menschen, die täglich mit solchen Passwörtern arbeiten mussten? Angie schrieb es auf einen Zettel und versteckte ihn unter ihrer Schreibunterlage, andere schrieben sie auf die erste Seite irgendeines Buches in ihrem Regal, und wieder andere klebten sich ein Post-it an ihren Bildschirm oder ihren Computer.
Jack schüttelte den Kopf. Das brachte ihn auch nicht weiter. Bei AMT würde niemand mehr ein Passwort auf einem kleinen Zettel oder in einem Buch finden, denn AMT war in der vergangenen Nacht komplett in Flammen aufgegangen. Wenn es Angies Rechnerpool nicht gelang, das Passwort durch zig-millionenfaches Ausprobieren aller möglichen Zeichenkombinationen herauszubekommen, würden die Daten von AMT vielleicht für immer eine unlesbare Zusammenballung willkürlich angeordneter Nullen und Einsen bleiben.
Jack stützte den Kopf in die Hände und schloss die müden Augen. Es half nichts, er musste sich eingestehen, dass er gescheitert war. Ein paar Minuten saß er so da und
hörte dem Rauschen des Regens, dem Plätschern des Sees und dem surrenden Lüfter seines auf Höchstleistung arbeitenden Laptops zu. Dann sprang er plötzlich wie elektrisiert auf.
In seiner Verzweiflung
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